Operation Romanow
des Hauptbahnhofs in Jekaterinburg herrschte großer Tumult. Zahlreiche Bauern, die Handkarren schoben und offenbar all ihre Habseligkeiten bei sich trugen, drängten sich dort, um in einen Zug zu gelangen.
Soba sprang aus dem Wagen auf den Bahnsteig, sprach mit einem Offizier und kehrte nur wenige Augenblicke später zurück. »Er hat gesagt, wir können einen Transportwagen vom Militärdepot anfordern. Wie lange das dauert, steht auf einem anderen Blatt. Die Truppen räumen die Stadt. Es könnte schneller gehen, wenn wir laufen.«
Jakow knöpfte seinen Waffenrock zu. »Bleib du hier. Ich suche dieses Depot. Niemand darf den Zug bewegen. Ich habe ihn beschlagnahmt. Und kümmere dich darum, dass für die Männer gesorgt wird. Sie brauchen etwas zu essen und möchten sicherlich baden. In der Nähe des Bahnhofs müssten Hotels sein. Nehmt so viele Zimmer in Beschlag, wie wir brauchen.«
»Was ist mit Nina?«
»Bleib bei ihr. Es geht ihr gar nicht gut. Der Arzt soll ihr noch etwas Äther geben, damit sie sich beruhigt.«
»Äther?«
»Dann kann sie wenigstens schlafen. Ich nehme an, sie wird hysterisch, wenn sie richtig begreift, was geschehen ist. Und gib auf den Leichnam des Kindes Acht. Sorge dafür, dass er mit Respekt behandelt wird«, sagte Jakow und schickte sich zum Gehen.
»Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Leonid?«
»Welche?«
»Ich spüre doch, was dir diese Frau bedeutet. Du liebst sie, nicht wahr?«
Jakow gab ihm keine Antwort und seufzte stattdessen. Er war vollkommen erschöpft. »Im Augenblick zählt nur, dass ich am Leben bleibe und meine Tochter nicht zur Vollwaise mache.«
»Sogar wenn es bedeutet, Andrew zu töten, nachdem, was Nina dir erzählt hat?«
»Habe ich eine andere Wahl?«
Soba legte eine Hand auf Jakows Arm. »Allmählich frage ich mich, ob dieser ganze Krieg überhaupt einen Sinn hat. Kommst du damit zurecht, Leonid?«
»Das ist eine Frage, auf die ich keine Antwort weiß.«
Jakow stieg die Stufen zum Amerika-Hotel hinauf und betrat die Bar. Sie war halb leer. Eine Handvoll Tscheka-Polizisten in Lederjacken und hohe Funktionäre der Bolschewisten ertränkten inmitten des Zigarettenrauchs ihren Kummer in Alkohol.
Er ging auf den nervösen Kellner zu, der ein paar Gläser abtrocknete. »Geben Sie mir ein Glas Wodka. Ach was, besser eine ganze Flasche.«
Der Kellner stellte eine Wodka-Flasche und ein Glas auf die Theke. Jakow warf ihm ein paar Münzen hin, öffnete die Flasche und füllte sein Glas bis zum Rand. Er trank es in einem Zug leer, goss nach, starrte ins Leere und bekam feuchte Augen.
Leonid Jakow war noch immer schockiert und wütend und … Er wusste nicht, was er fühlte! Seit drei Tagen hatte er kaum geschlafen, und die Erschöpfung zehrte an ihm.
Er war wütend auf seine Mutter, weil sie ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte. Andererseits konnte er sie auch verstehen. Sie war ein guter Mensch gewesen, aber eine einsame Frau mit einem trostlosen Leben. Hatte sie nicht auch ein wenig Zuneigung verdient?
Wenn uns Liebe und Zärtlichkeit geschenkt werden, sollten wir sie immer dankbar annehmen.
Jakow trank noch ein Glas. Der hochprozentige Schnaps brannte in seiner Kehle. Allmählich verschwamm ihm vor Müdigkeit alles vor den Augen. Durch den Alkohol wurde es nicht besser. Kein Glas mehr, sagte er sich. Ich brauche einen klaren Verstand!
Grässliche Aufgaben warteten auf ihn. Er musste Juri Andrew finden und vernichten und die Romanows hinrichten.
Diesmal durfte er nicht versagen. Katerinas Leben hing davon ab. Bei dem Gedanken, seiner Tochter könnte etwas zustoßen, zog sich ihm die Kehle zu.
»Saufen Sie nicht zu viel, Herr Kommissar!«
Jakow drehte sich um. Kasan stand mit selbstgefälliger Miene vor ihm. Er trug seinen Hut mit der breiten Krempe. »Sie sehen aus, als hätten Sie einen Schock erlitten.«
»Was geht Sie das an?«
»Ich habe von Ihrem Drama gehört.« Kasan nickte dem Kellner zu, der ihm einen Whiskey eingoss.
»Von wem?«
Kasan nahm den Hut ab, legte ihn auf die Theke und strich sich über die Glatze. »Sie sind zwar gerade erst angekommen, aber es kursieren schon überall Gerüchte. Ihre Männer reden unablässig davon, dass dieser Andrew Sie wieder zum Narren gehalten hat.«
Jakow presste die Lippen aufeinander und versuchte, gegen seine Wut anzukämpfen.
Kasans Augen funkelten boshaft. »Ich hoffe für Sie, dass Moskau nichts von Ihrem jüngsten Versagen erfährt. Es würde kein gutes Licht auf Sie werfen, dass Sie
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