Operation Romanow
haben mögen, mein Kind, ich bin sicher, dass Gott Ihnen schon vergeben hat.«
»Müssen Liebe und Gefühle denn immer so kompliziert sein?«
Die Nonne erhob sich. »Was in unseren Herzen geschieht, geschieht einfach. Doch manchmal ruft uns die wahre Liebe zu höheren Aufgaben. Wir müssen tun, was richtig ist, und nicht immer das, was wir uns wünschen. Es ist die ewige Frage, nicht wahr?«, fuhr Schwester Agnes fort, die ihre Kraft aus dem Glauben schöpfte. »Das ist das, was Sie sich in Wahrheit fragen. Soll ich so leben, wie ich es mir wünsche oder wie es richtig ist? Auf diese Frage gibt es eine einfache Antwort. Tief in unserem Inneren wissen wir, was richtig ist. Wir wissen es immer.«
Sie legte behutsam eine Hand auf Lydias Schulter. »Jetzt müssen wir wirklich gehen. Uns rennt die Zeit davon.«
111. KAPITEL
In der Nähe des Ipatjew-Hauses, Jekaterinburg
Der leer stehende Getreidespeicher mit dem eingestürzten Dach war vollständig verfallen, und überall wucherte Unkraut.
Jakow stellte den Fiat-Lastwagen vor dem Eingang ab. Er zündete sich eine Zigarette an und ging zu dem Steg aus morschem Holz, der am Seeufer entlangführte. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser. Es war hell genug, um alles erkennen zu können.
In der Ferne ragten die fahlen Umrisse des Ipatjew-Hauses am Ufer wie eine Geistererscheinung aus der Dunkelheit. Jakow war aufgewühlt, als er dort stand, hektisch an der Zigarette zog und einen Fuß auf den Stamm eines entwurzelten Baumes stellte.
»Bist du allein?«, fragte Andrew, als er mit einem Nagant-Revolver in der Hand aus dem verfallenen Getreidespeicher heraustrat.
Jakow wirbelte herum und warf seine Zigarette weg. Sie flog durch die Luft, landete im Wasser und ging mit einem leichten Zischen aus. »Ja. Wir müssen reden, Juri.«
Andrew trat näher an ihn heran. Er sah wütend und niedergeschlagen aus. Jakow hatte ihn noch nie so zornig erlebt.
Ohne ein Wort zu sagen, holte er aus und verpasste Jakow mit dem Revolver einen Schlag auf den Kopf. Er taumelte gegen einen entwurzelten Baum und presste eine Hand auf seinen Schädel.
»Ich müsste dich auf der Stelle töten«, stieß Andrew aufgebracht heraus.
Jakow stand mühsam auf. »Ich habe nichts getan, was Sergej geschadet hat. Nichts. Das musst du mir glauben, Juri.«
»Mein Sohn hätte eine Chance gehabt zu überleben, wenn er in Moskau geblieben wäre«, herrschte Andrew ihn an. »Du hast ihm diese Chance genommen!«
»Nein, Juri. Nichts hätte ihn retten können. Mein Arzt hat alles in seiner Macht Stehende getan. Niemand konnte Sergej mehr helfen. Glaub mir.«
Andrew entfuhr ein gequälter Schrei. Er presste sich den Arm vor den Mund, um das Keuchen zu ersticken.
»Die Wahrheit ist, dass Trotzki mir befohlen hat, Nina und deinen Sohn in ein Gefangenenlager zu bringen. Ich habe den Befehl nicht befolgt. Ich habe sie aus Moskau mitgenommen, um sie zu retten. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte, aber ich wusste, dass ich es versuchen musste.«
»Wie kann ich dir nur jemals wieder glauben?«
»Du musst mir glauben! Ich habe begriffen, dass du Stanislaw nicht getötet hast. Ich hatte unrecht. Ich hatte egoistische, dumme Gründe, es zu glauben! Jetzt glaube ich dir und bitte dich, auch mir zu glauben.«
Andrew fiel es schwer, seinem alten Freund nicht noch eine zu verpassen. Er war am Boden zerstört. »Wie nimmt Nina es auf?«
»Sie ist eine gebrochene Frau. Untröstlich. Sie braucht dich. Ich wusste nicht, dass ihr Differenzen hattet, aber ich glaube, sie hat niemals wirklich aufgehört, dich zu lieben.«
Andrew presste die Lippen aufeinander. »Wo ist sie?«
»In meinem Zug am Bahnhof von Jekaterinburg. Soba kümmert sich um sie.«
»Wenn du ihr auch nur ein Haar gekrümmt hast …«
»Nein, habe ich nicht. Ich mag sie viel zu sehr. Soll ich dir etwas anvertrauen? Als ich sie vor all den Jahren, damals, in der Nacht, als Stanislaw geboren wurde, zum ersten Mal sah, habe ich mich in sie verliebt.«
Andrew runzelte die Stirn.
»Sieh mich nicht so an, Juri. Es war eine harmlose, unschuldige Liebe. Ich wohnte in einem Elendsviertel und hatte nie zuvor ein so hübsches Mädchen gesehen. Für mich war Nina eine seltene, exotische Schönheit. Ich gebe zu, es gab Zeiten, in denen mir allein der Gedanke an sie half, in der Trostlosigkeit rings um mich herum nicht verrückt zu werden. Verstehst du das? Ich würde ihr niemals absichtlich wehtun. Das musst du mir
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