Operation Romanow
befahl er einem der Wachmänner.
Jurowski stieg die Stufen zu der Wohnung der Romanows hinauf. Vor der Tür hob er den Zeigefinger und zögerte ein paar Sekunden, bis er auf die elektrische Klingel drückte.
Anastasia fuhr aus dem Schlaf, als das schrille Echo der elektrischen Klingel durch die Wohnung hallte.
Draußen war es dunkel. Fahles Mondlicht schien durch die getünchten Fensterscheiben. Maria, die neben ihr lag, wachte ebenfalls auf und strich sich müde das zerzauste Haar aus dem Gesicht. »War das die Klingel? Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe ein Auto gehört«, erwiderte Anastasia.
Aus dem Zimmer ihrer Eltern hallten Schritte. Kurz darauf hörten die Schwestern, dass jemand an eine Tür klopfte. Dann folgten wieder Schritte und Stimmen, und es näherte sich jemand ihrem Zimmer.
»Papa kommt«, sagte Maria.
Die Tür wurde geöffnet, und ihr Vater stand vor ihnen. Er sah müde aus und knöpfte gerade sein Hemd zu. »Der Kommandant möchte, dass wir uns im Untergeschoss versammeln.«
»Warum?«
»Er hat gesagt, dass der Feind die Stadt einkesselt und der Kampf unmittelbar bevorsteht. Er befürchtet, das Haus könnte von den Geschützen getroffen werden, daher möchte er uns zu unserer eigenen Sicherheit hier wegbringen.«
»In Sicherheit vor unseren Geschützen?«, fragte Maria naiv.
»Ja, mein Schatz.«
Anastasia hob den Kopf. »Meinst du, sie retten uns endlich?«
Ihr Vater schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln und strich ihr zärtlich übers Gesicht. »Wir können nur beten, meine Lieben. Jetzt wascht euch und zieht euch an. Die anderen sind schon auf.«
Jurowski war nervös. Sein Nacken war schweißnass, und der Kommandant wurde von Minute zu Minute ungeduldiger. Er stand auf dem Gang und rauchte noch eine Zigarette. Sein Magen verkrampfte sich. Er hörte, dass die Familie hin und her lief, als sie sich wusch und anzog. Am liebsten hätte er sie zur Eile angetrieben.
Einer der Wachleute stieg die Treppe hinauf. »Noch keine Spur von Kommissar Jakow?«
»Nein, noch nicht. Dadurch lassen wir uns aber nicht aufhalten. Es läuft alles nach Plan«, erwiderte Jurowski und sah besorgt auf die Uhr. Genau zwei. Vierzig Minuten waren vergangen, seitdem er auf die Klingel gedrückt hatte. Er fluchte leise.
Der Kommandant war versucht, ein zweites Mal zu klingeln, um die Sache voranzutreiben, als die Tür aufging und die Romanows nacheinander auf dem Treppenabsatz erschienen. Sie waren alle ordentlich gekleidet. Nikolaus Romanow, der seinen gebrechlichen Sohn auf dem Arm trug, führte seine Familie an. Hinter ihm kamen die Mädchen. Sie trugen einfache weiße Blusen und dunkle Röcke und hielten Kissen, Taschen und andere persönliche Dinge in den Händen. Ihnen folgte die hagere Gattin des Zaren, die wie immer angespannt wirkte und schlicht gekleidet war. Sie trug einen dunklen Rock mit Bluse und hatte ihr graues Haar nicht frisiert. Zuletzt stellten sich Dr. Botkin und die drei Dienstmädchen auf den Treppenabsatz.
»Wie ich sehe, sind Sie fertig«, sagte der Kommandant zu Nikolaus Romanow.
»Endlich verlassen wir diesen Ort, Kommandant. Und was wird aus unseren persönlichen Dingen?«
»Das ist im Augenblick nicht wichtig. Wir holen sie später. Hier entlang.« Jurowski lächelte sie beruhigend an und führte alle die Treppe hinunter.
Als sie auf dem Treppenabsatz an der ausgestopften Bärenmutter und ihren Jungen vorbeikamen, blieb die Familie stehen und bekreuzigte sich fromm. Die Romanows, die glaubten, dass sie das Haus nun verlassen würden, drückten auf diese Weise ihren Respekt vor den Toten aus.
Jurowski hörte das vertraute Jaulen und Bellen der drei Hunde der Zarenfamilie, die auf dem Treppenabsatz hin und her liefen und versuchten, der Familie zu folgen. Die Wachen packten sie an den Halsbändern und hielten sie zurück. Einer der Hunde riss sich los und flüchtete in Anastasias Arme.
»Was ist mit den anderen Tieren, Kommandant?«, fragte sie.
Alle schraken zusammen, als sie in der Ferne plötzlich Artilleriefeuer hörten.
Jurowski schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Sie werden Ihnen später gebracht. Nun ist es erst einmal wichtig, dass wir uns beeilen …«
113. KAPITEL
Jekaterinburg
Jurowski führte die Familie in den Keller. Er öffnete eine große Tür und ging ihnen voraus in einen Raum, in dem eine einzige Glühbirne an der gewölbten Decke baumelte. Das dreckige Fenster an einer Wand war durch Metallstäbe
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