Operation Romanow
gesichert. Der nackte Dielenholzboden knarrte. Stühle gab es keine.
»Sie müssen hier warten.«
Alexandra zeigte auf ihren Gatten, der Mühe hatte, seinen Sohn noch länger auf den Armen zu halten. »Dürfen wir nicht sitzen? Mein Mann muss unser Kind tragen.«
»Holen Sie zwei Stühle«, befahl der Kommandant einem der drei Wachposten.
Kurz darauf kehrte er mit zwei geschwungenen Bugholzstühlen zurück, die er in der Nähe der Tür an die hintere Wand stellte. Nikolaus Romanow setzte seinen Sohn behutsam auf einen Stuhl. Seine Gattin nahm auf dem anderen Platz. Die Töchter scharten sich um ihre Mutter, Dr. Botkin und die anderen blieben ein Stück abseits stehen.
Während der Junge mit großen Augen jede seiner Bewegungen neugierig verfolgte, wies Jurowski jedem Familienmitglied einen bestimmten Platz hinter den Stühlen zu.
»Es gab Gerüchte, dass Ihre Gesundheit angegriffen ist«, sagte er. »Und dass Sie schlecht behandelt werden. Daher brauche ich, ehe wir aufbrechen, ein Foto, um das Gegenteil zu beweisen. Stellen Sie sich bitte so hin, wie ich es sage.«
Die Familie folgte den Anweisungen des Kommandanten. Maria, Tatjana und Olga reihten sich hinter ihrer Mutter auf, die sitzen blieb. Der Arzt der Familie und die drei Dienstmädchen stellten sich vor Anastasia, die trotzig ein Stück von den anderen abrückte. Nikolaus Romanow gesellte sich neben seinen Sohn, der auf dem zweiten Stuhl saß.
Der Kommandant sah wieder auf die Uhr. »Der Fotograf verspätet sich, doch er wird gleich hier sein. Sobald er kommt, kehre ich zurück.«
Die Männer verließen den Raum. Jurowski ging als Letzter hinaus. An der Tür blieb er kurz stehen. Hatte er in den Gesichtern der Familie Zweifel oder sogar Entsetzen erkannt?
»Wenn wir das Foto gemacht haben, besteigen Sie alle der Reihe nach einen Lastwagen«, sagte er beruhigend. »Sie werden an einen sicheren Ort gebracht, wo Sie keine Angst vor dem Angriff des tschechoslowakischen Korps haben müssen.«
Er warf den Todgeweihten einen letzten Blick zu und überzeugte sich davon, dass sie alle auf den Plätzen standen, die er ihnen zugewiesen hatte. Dann nickte er und zog leise die Tür hinter sich zu.
In dem Raum hinter der Leichenhalle, den nur eine Glühbirne erhellte, verteilte Boyle dunkle Kniehosen sowie hohe Lederstiefel und warf sich eine schwarze Lederjacke der Tschekisten über.
Anschließend studierte er die Pläne auf dem Tisch, die de Gennin vor langer Zeit auf Pergament gezeichnet hatte. »Wie kommen sie mit den Leichen voran?«, fragte er schließlich und hob den Kopf.
Andrew warf einen Blick auf den Hof, wo Markow und Sorg ein Dutzend der in weiße Tücher gehüllten Leichen auf die Ladefläche des Pferdewagens hievten. »Es sieht so aus, als wären sie gleich fertig.«
Tatsächlich kehrten die beiden wenige Minuten später zurück. Markow, der einen Vorschlaghammer und eine Spitzhacke mitbrachte, schloss die Tür hinter sich. »Sobald ich die Pferde angespannt habe, können wir losfahren. Hier ist das Werkzeug, das Sie haben wollten.«
Boyle begutachtete es. »Ausgezeichnet. Was ist mit dem Sprengstoff?«
»Tut mir leid. Außer ein paar Kanistern Petroleum und einer größeren Menge Balsamierflüssigkeit kann ich Ihnen leider nichts anbieten. Obwohl ich kein Chemiker bin, würde ich wetten, dass es einen lauten Knall gibt, wenn Sie beides anzünden.«
»Ich hoffe es. Laden Sie alles in den Wagen, bevor wir losfahren. Sie müssen mir dann noch den genauen Weg zu den Tunneln erklären.«
Markow nickte und ging hinaus.
»Sagen Sie mir jetzt endlich, was Sie vorhaben?«, fragte Andrew Boyle.
»Zuerst sollten Sie Jakow hereinbringen, damit wir sehen, in welcher Stimmung er ist.«
Andrew führte Jakow, dessen Hände immer noch gefesselt und dessen Kopf immer noch mit einem Sack verhüllt waren, herein. Boyle zog ihm das Tuch vom Kopf.
Jakow blinzelte und sah sich um. Neben Andrew entdeckte er einen großen Mann mit stattlicher Statur und unbeweglicher Miene. Jakow stemmte die Hände in die Hüften. Sein Blick wanderte durch den fensterlosen Raum. »Wo bin ich? Was geht hier vor sich?«
»Sagen Sie dem Kommissar, dass wir seine volle Kooperation brauchen«, forderte Boyle Andrew auf Englisch auf. »Wenn er zustimmt, wird er seine Tochter wiedersehen.«
Andrew übersetzte, was Boyle sagte. Jakow schwieg hartnäckig.
»Sagen Sie ihm, dass er uns als Gegenleistung für seine Hilfe begleiten kann, wenn wir hier alles erledigt haben und
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