Operation Romanow
Gesicht.
Der Inspektor wischte sich mit dem Jackenärmel über die Wange, dann lächelte er erneut. »Wir werden sehen, wie viel Temperament Sie besitzen, wenn ich Sie wieder in den Keller des Hotels gesperrt habe.«
Er nickte seinen Männern zu. »Bringen Sie ihn zum Wagen. Ich komme sofort nach.«
Kasan ging über den Bahnsteig auf die Lokomotive zu. Aus dem Schornstein stieg eine dünne Rauchwolke empor. Er zog sich ein paar Metallstufen hinauf in den Stand des Lokführers.
Ein Mann mit grimmiger Miene, der sich lange nicht rasiert hatte, saß auf einem dreibeinigen Hocker. Er rauchte eine Zigarette und trug rußgeschwärzte Kleidung. An seinen Knien lehnte eine Schaufel.
Als Kasan auftauchte, stand er auf und warf die Zigarette weg. »Kann ich Ihnen helfen, Genosse?«
»Mit Sicherheit.« Kasan betrachtete interessiert die Kesseldruck- und Wasserstandsanzeigen sowie die Messing- und Kupferrohre, die an der Wand der Lokomotive entlangliefen. »Sie müssen Jakows Lokführer sein.«
Der Mann nickte. »Das ist richtig. Was kann ich für Sie tun?«
Kasan zog seine Pistole und streckte die freie Hand aus. »Geben Sie mir die Schaufel.«
Der schockierte Lokführer verstand schnell, dass jeder Widerstand zwecklos war, und reichte Kasan das Werkzeug.
Der Inspektor schwang die Schaufel wie eine Machete zur Seite und durchtrennte mit der scharfen Kante mehrere dünne Rohre. Dampf entwich. Dann stieß er mit dem Schaufelstiel immer wieder in die Messinstrumente, bis er alles zertrümmert hatte.
»Dieser Zug fährt nirgendwohin«, zischte er triumphierend und warf die Schaufel auf den Boden.
Der Lokführer war bestürzt. »Sie Dummkopf! Dafür wird Jakow Sie töten!«
Ohne zu zögern, jagte Kasan dem Mann zwei Kugeln in die Brust. Der Lokführer sackte auf dem Boden zusammen.
Kasan trat mit dem Stiefel gegen den Leichnam. »Sie haben unrecht. Genau das Gegenteil wird passieren«, murmelte er und stieg die Stufen zum Bahnsteig hinunter.
122. KAPITEL
Ipatjew-Haus, Jekaterinburg
»Das Leben von Alexej und Anastasia hängt am seidenen Faden. Die anderen sind alle tot«, stellte Andrew fest.
Lydia hockte neben Anastasia auf dem Boden und fühlte ihren Puls. »Ihr Herz schlägt noch, aber nur schwach.«
»Und der Junge?«, fragte Boyle. »Schafft er es?«
Andrew schüttelte unschlüssig den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sein Herzschlag ist nicht kräftig genug.«
Jakow starrte wortlos auf die tote Familie zu seinen Füßen.
»Warum reißt du so entsetzt den Mund auf?«, fragte Andrew ihn wütend. »Das ist doch, was du wolltest, oder nicht?«
»Nicht die Kinder«, erwiderte Jakow heiser.
»Jetzt ist es zu spät!«, fuhr Andrew ihn zornig an und schwang seine Waffe. »Hilf Lydia mit dem Mädchen. Sei vorsichtig!«
Jakow und Lydia hoben Anastasia behutsam vom Boden hoch.
»Halten Sie Jakow in Schach«, sagte Boyle zu Andrew. »Ich nehme den Jungen.« Er kniete sich hin, und als er Alexej vom Boden hochnahm, drang ein schmerzvoller Schrei aus dessen Mund, und ein langer, verzweifelter Atemzug rasselte in den schwachen Lungen des Zarensohns. Sein Körper zuckte. Dann bewegte er sich nicht mehr.
»Nein …«, stammelte Boyle heiser. Er legte den Jungen wieder auf den Boden und fühlte seinen Puls. Schließlich hob er den Blick und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Er ist tot. Gott sei seiner Seele gnädig!«
Eine ungeheure Trauer erfasste sie alle, doch es blieb keine Zeit, sich ihr hinzugeben. Boyle drängte sie aus dem Kellerraum hinaus. »Worauf warten Sie? Juri, nehmen Sie Lydia das Mädchen ab! Sie geht mit der Lampe voraus. Ich sichere unseren Rückzug.« Er richtete seine Waffe auf Jakow. »Gehen Sie!«
Ehe Boyle den Ort des Grauens verließ, warf er einen letzten Blick hinter sich. Er konnte sich das entsetzliche Blutvergießen, das hier stattgefunden hatte, kaum vorstellen. Mit kummervoller Miene drehte er sich um und zog die Tür zum geheimen Gang hinter sich zu.
Kasan bog auf den Wosnessenski-Prospekt ein. Der Opel rumpelte über das Kopfsteinpflaster.
Sorg saß mit gefesselten Händen eingezwängt zwischen den zwei Tscheka-Polizisten.
Kasan näherte sich der Haupteinfahrt des Ipatjew-Hauses und hielt an. Vor dem Eingang des Hauses parkten zwei Lastwagen mit laufendem Motor. Die Schranke war heruntergelassen. Die Wachen liefen nervös auf den Inspektor zu, als er ausstieg.
»Ist das Werk vollbracht?«, fragte er.
»Was geht Sie das an?«, entgegnete einer der älteren Wachposten. »Ich dachte,
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