Operation Romanow
haben noch etwas anderes zu tun.«
Boyle führte Jakow zu dem Wagen, der an die Lokomotive angehängt war, und stieg hinter ihm ein. Auf dem Boden, auf dem die beiden Leichen von Soba und Markow lagen, klebte getrocknetes Blut. Markows linkes Bein mit der zerschmetterten Kniescheibe war blutüberströmt.
»Das Werk eines Schlächters«, stieß Boyle wütend aus.
Jakow starrte auf Sobas Leiche. Der Tod des Kameraden setzte ihm arg zu. »Er war ein guter Mann.«
Boyles Russischkenntnisse reichten aus, um das zu verstehen. »Dann ist er wohl in schlechte Gesellschaft geraten.« Er zeigte auf die Leichen. »Legen Sie sie an die Wand«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit Anastasia zu. Sie lag auf dem Feldbett in einem Schlafabteil im hinteren Bereich des Wagens. Ihr Kopf war mit Verbänden umwickelt.
Ab und zu stöhnte sie vor Schmerzen, rührte sich aber nicht. Ihre Augen waren geschlossen, und sie atmete flach. Lydia und Schwester Agnes knieten auf einer Seite neben ihr, während der Arzt das Stethoskop auf ihren Hals und ihre Brust drückte und ihren Puls fühlte.
»Wie geht es ihr?«, fragte Boyle.
Der Arzt blickte ihn sorgenvoll an. »Die Wunden am Schädel wurden ihr mit Bajonetten zugefügt. Ich nehme an, sie hat eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Die Blutung des Unterleibs hat zum Glück aufgehört. Es könnte jedoch sein, dass sie innere Blutungen hat. Ob lebenswichtige Organe verletzt sind, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Das wird sich erst später herausstellen.«
»Könnten Sie sie notfalls operieren?«
Der Arzt kratzte sich am Kinn. »Können, ja, vielleicht. Aber ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist. Es gibt keine Garantie, dass sie eine Operation in diesem Zustand überleben würde. Ich fürchte, es liegt alles in Gottes Hand.«
Boyle seufzte frustriert. »Wo ist Juri?«
»Bei Nina«, erwiderte Lydia.
»Sagen Sie ihm, dass wir abfahren.«
Lydia lief den Gang hinunter. Sie roch den widerlich süßlichen Geruch eines Narkotikums, als sie das Schlafabteil im hinteren Teil des Zuges erreichte. Eine hübsche blonde Frau mit verstörter Miene lag bewusstlos auf einem Bett.
Ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Sie wälzte sich unruhig hin und her, schrie auf und verstummte wieder.
Lydia stand auf dem Gang und betrachtete sie besorgt.
Und dann drang ein schmerzvoller, schauriger Schrei aus dem nächsten Abteil …
Als Lydia den kleinen Raum nebenan betrat, kniete Andrew vor Sergejs Leichnam. Der Junge lag in ein Tuch gehüllt auf dem Bett. Seine Augen waren geschlossen, die Lippen leicht geöffnet, sein Körper war erstarrt.
Andrew wiegte seinen Sohn in den Armen. Sergejs Tod erschütterte ihn bis ins Mark. Sein gequälter Blick ließ erahnen, dass er durch die Hölle ging.
Lydia konnte nichts anderes tun, als dort zu stehen und zuzusehen, wie er litt.
Er drehte sich zu ihr um, und sah sie an. Behutsam legte Andrew den Leichnam seines Sohnes wieder aufs Bett, küsste ihn auf die Wange und stand auf.
Einen Moment lang befürchtete Lydia, er würde an seinem Kummer zerbrechen. Dann lief er auf den Gang und presste sich den Handrücken auf den Mund, um das Schluchzen zu ersticken.
Lydia fand keine Worte, um ihn zu trösten. Daher tat sie das Einzige, was sie tun konnte, rannte hinter ihm her und schlang die Arme um ihn, zog ihn an sich und teilte seine Trauer.
Eine ganze Weile klammerte Andrew sich an sie, bis er sich schließlich von ihr löste.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Juri. Wie ich dich trösten kann.«
»Das kannst du nicht.«
»Ich habe deine Frau gesehen. Wird sie sich wieder erholen?«
Andrew wischte sich über die Augen, und sie betraten gemeinsam das Abteil, in dem Nina auf dem Bett lag. Er starrte lange auf ihr Gesicht und strich ihr dann mit dem Handrücken über die Wange. »Der Arzt hat ihr Äther gegeben, damit sie schlafen kann. Sie war furchtbar aufgewühlt. Sie hat nur für Sergej gelebt. Das haben wir beide.«
Plötzlich hörten sie hinter sich ein Geräusch auf dem Gang.
Schwester Agnes eilte auf sie zu, ihre Tracht flatterte um ihre Beine. »Sie müssen sofort kommen! Es gibt noch mehr schlechte Nachrichten.«
Als sie der Schwester zurück in den Waggon folgten, in dem Boyle und die anderen neben dem Krankenbett von Anastasia wachten, hörten sie den Motor eines Autos, das über den in Nebel gehüllten Bahnsteig fuhr.
Boyle spähte aus dem Fenster. »So einen Scheißkerl wird man offenbar nicht so schnell
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