Operation Romanow
zu gewinnen. Lenin sieht Heeresoffiziere deines Kalibers als Gefahr an, solltest du befreit werden.«
»Kein Prozess, kein Militärgericht, nur ein Erschießungskommando? So läuft das hier?«
»Ihr Weißen lasst unseren Männern gegenüber auch keine Gnade walten, Juri. Es ist ein grausamer Krieg.«
»Wird Lenin den Zaren ebenfalls hinrichten?«
»Er und seine Familie stehen unter Hausarrest, aber der Tag wird kommen.«
»Du willst sie alle umbringen? Die ganze Familie?«
»Es ist unvermeidbar«, erwiderte Jakow. »Die Partei will sicher sein, dass kein Nachkomme der Romanows jemals wieder an die Macht gelangt.«
»Tötet ihr Bolschewisten jetzt sogar Kinder?«
»Manchmal sind unangenehme Dinge für das Gemeinwohl notwendig. Aber das ist nicht brutaler als das Gebaren der zaristischen Geheimpolizei seinerzeit.«
»Du weißt, dass ich diese Dinge verabscheut habe. Ich war dem Zaren niemals blind ergeben.«
»Und doch hast du für ihn gekämpft.«
»Ich habe als Offizier in seiner Armee gedient! Aber glaube mir, ihr Bolschewisten werdet das Land zerstören.«
Jakows Gesicht zuckte, als er ein Foto aus der Tasche seines Waffenrocks nahm. »Ich habe dieses Foto in deiner Jackentasche gefunden. Du willst es gewiss zurückhaben.« Er reichte es ihm.
Andrew warf die Zigarette weg und riss ihm das Foto einer Frau und eines kleinen Kindes fast aus der Hand.
»Nina scheint es gut zu gehen«, sagte Jakow leise. »Und der kleine Sergej sieht aus wie du. Eine Familie ist verdammt wichtig für einen Mann.«
Andrew hob den Blick von dem Foto, als versuchte er, seiner Gefühle Herr zu werden. »Du hast nie wieder geheiratet?«
Jakow warf seine halb aufgerauchte Zigarette weg und blickte auf den dichten Wald, der sich in alle Richtungen erstreckte. »Welche Frau will einen so hässlichen Kerl wie mich schon haben? Außerdem bin ich jetzt mit der Partei verheiratet.«
»Und deine Tochter?«
»Sie wird schon sechs. Kannst du dir das vorstellen? An dem Tag, als wir den Winterpalast gestürmt haben, gehörte ihre Mutter zu den ersten Opfern.«
»Ich habe davon gehört. Es tut mir leid.«
»Wir haben alle unser Kreuz zu tragen. Sobas Frau kümmert sich jetzt um die Kleine.«
Als Andrew das Bild von Nina und seinem Sohn betrachtete, bekam er feuchte Augen.
»Beantwortest du mir eine Frage, Juri?«, fragte Jakow leise.
Andrew sah ihn an. Es fiel ihm schwer, die Fassung zu bewahren. »Und welche?«
»Was würde dich glücklich machen?«
»Ich glaube, meine Antwort kennst du bereits.« Andrew spähte an dem Lager vorbei in den dichten Wald, wo die Bäume im Nebel wie Geister verblassten. »Dass ich wieder bei meiner Frau und meinem Sohn sein kann. Dass ich ein freier Mann bin. Dass ich jeden Morgen neben ihnen aufwachen kann, an einem Ort, an dem Frieden herrscht und keine Hoffnungslosigkeit.«
»Was noch?«
»Ist das nicht genug? Was war es noch, was Tschechow einst gesagt hat? ›Wir leben für die Liebe und die Hoffnung und unsere Träume und für die kleinen Dinge, die uns erfreuen, und für sonst kaum etwas.‹ Es wäre schön, wenn der Schnee schmelzen würde und endlich wieder Frühling wäre.«
Jakow lächelte. »Du warst schon immer ein Romantiker, Juri. Bestimmt liest du noch immer Gedichte. Du hast dich nicht verändert.«
Die beiden Männer wechselten einen Blick. »Aber du hast dich verändert, Leonid. Diese Revolution, die du zu deiner Sache gemacht hast, ist ein wahnsinniges Experiment, das keine Zukunft hat. Sie hat eine grausame Wende genommen.«
»Sag mir, bei welcher Revolution kein Blut geflossen ist.«
»Lenin hat Frieden und Freiheit versprochen, und doch bin ich wie unzählige andere auch in Gefangenschaft. Er hat geschworen, dass er dieses Land von der Geheimpolizei befreien wird, und dennoch hat er eine eigene aufgebaut. Das ist kein Mann, dem ich vertrauen kann. Es geht ihm nur um Macht.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Bald werden die Menschen begreifen, dass das alles ein riesiger, blutrünstiger Fehler ist. Ihr Roten werdet mehr unschuldige Menschen töten als in all den Jahrhunderten der Zarenherrschaft getötet wurden.«
Jakow schüttelte heftig den Kopf und errötete. »Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass es Russlands größte Stunde sein wird!«
»Dann haben wir nichts mehr gemein, Leonid. Ein Mensch glaubt, was er glauben will.«
Jakows Lächeln verblasste.
Andrew warf einen Blick auf das Foto. »Sergej ist drei Jahre alt«, sagte er aufgewühlt. »Ich kann an einer Hand
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