Operation Romanow
die Schulter wieder ein.«
»Du vertraust mir?«
»Du hast oft genug dabei zugesehen, wie mein Vater Knochen einrenkt.«
»Stimmt.« Jakow drehte den Lappen zu einer festen Rolle zusammen und schob ihn Andrew zwischen die Zähne. »Beiß da drauf und roll dich auf die andere Seite.«
Andrews Gesicht war schweißüberströmt, als er den Lappen in den Mund nahm und sich auf die rechte Seite rollte.
»Beiß fest zu, mein Freund.« Jakow tastete behutsam über die verletzte Schulter und suchte das Gelenk. Als er es ertastet hatte, verlagerte er sein ganzes Gewicht auf Andrews Schulter, holte tief Luft und drückte mit aller Kraft zu.
Mit einem lauten Knacken rutschte das Gelenk wieder in die richtige Position.
Unerträgliche Schmerzen schossen durch Andrews Körper. Seine Augen rollten nach oben, und er verlor das Bewusstsein.
Jakow ging zu dem Waschbecken in einer Ecke, nahm einen Zinkeimer und füllte ihn mit eiskaltem Wasser. Er zog den Lappen aus Andrews Mund, tauchte ein Handtuch in das Wasser und warf es ihm ins Gesicht. Andrew wachte auf und starrte ihn mit schmerzverzerrter Miene an.
»Verdammt, das tat weh«, stammelte er.
Jakow zwinkerte ihm zu. »Mit ein bisschen Glück kannst du immer noch Akkordeon spielen«, sagte er und riss das dreckige Laken von der Schnur, das sie bis dahin von den anderen Kranken getrennt hatte. Jetzt waren sie den Blicken der Patienten in den anderen Betten ausgeliefert, einem halben Dutzend bis auf die Knochen abgemagerter, kranker und unrasierter Gefangener. Sie starrten auf den Mann in der schwarzen Tscheka-Uniform. »Was glotzt ihr so!«, brüllte Jakow sie an.
Die verängstigten Patienten guckten sofort in eine andere Richtung. Jakow zerriss das Laken und knotete es zu einer einfachen Schlinge zusammen, die er Andrew um den Hals und unter den Arm band. »Das muss erst einmal so gehen.«
»War das dein Zug, den ich gesehen habe?«
»Ja, so reise ich jetzt auf Lenins Befehl. Die Leute sagen, ich bin seine rechte Hand. Kannst du dir das vorstellen? Ich, von Lenin persönlich eingesetzt!«
»Um was zu tun?«
»Feindliche Agenten und Spione, Spekulanten und Konterevolutionäre und alle, die Lenins Autorität anzweifeln, aufzuspüren und zu erschießen.« Jakow nahm zwei zerschlissene graue Decken von einem leeren Bett und legte sie vorsichtig um Andrews Beine und Schultern. »Ich hoffe, die Decken halten dich warm.«
»Was machst du in einem Gefangenenlager meilenweit draußen? Das ist doch bestimmt kein Zufall, Leonid.«
Neben der Tür stand ein lädierter Rollstuhl mit einem grob behauenen Holzbrett als Sitzfläche und zwei Rädern mit verrosteten Speichen. Jakows Gesicht war ernst, als er den Raum durchquerte und den Rollstuhl an Andrews Bett schob.
»Fühlst du dich dazu in der Lage, mit mir auf die Veranda zu gehen, um mit mir zu sprechen? Es ist kalt draußen, aber da sind wir wenigstens ungestört.«
»Was ist los, Leonid?«
Jakow nahm einen Briefumschlag aus der Tasche, zog ein Blatt heraus und faltete es auseinander. Das Blatt trug einen amtlichen roten Stempel und eine Unterschrift. Jakow senkte die Stimme. »Ich habe von Lenin einen Befehl erhalten, der dich betrifft, Juri.«
»Was für einen Befehl?«
Jakow reichte ihm das Papier. »Es geht um deine sofortige Hinrichtung.«
8. KAPITEL
Sibirien
Jakow schob den Rollstuhl auf die Veranda. Er setzte sich auf den Rand der Holzbrüstung und nahm ein verbeultes Zigarettenetui aus Metall aus der Manteltasche. »Willst du eine?«
Andrew nickte schweigend.
Jakow steckte zwei Zigaretten an. Als er das Streichholz in den Schnee warf, zischte es leise. Eine ganze Weile saßen sie schweigend da und rauchten. Sie blickten auf die zahlreichen grob zusammengezimmerten Wachtürme, den verrosteten Stacheldraht und die Holzbaracken. Aus Schornsteinen stiegen dünne Rauchfahnen in die Luft. Wachen liefen mit mehreren Gruppen von abgemagerten, erschöpften Gefangenen vorbei, die Gefangenenkleidung oder zerfetzte Militäruniformen des zaristischen Heeres trugen.
Andrew kratzte sich über die Bartstoppeln. »Darf ich erfahren, warum ich hingerichtet werden soll?«, fragte er schließlich. »Oder braucht ihr Roten jetzt keine Gründe mehr?«
Jakow blies auf die Glut der Zigarette und ließ seinen Blick über das Lager gleiten, das inmitten der verschneiten Einöde lag. »Ein Bataillon der Weißen ist nur noch vierzig Kilometer von Perm entfernt. Sie könnten die Gefangenen befreien, um die nächste Schlacht gegen uns
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