Operation Sahara
konnten. An Stehenbleiben oder Aufgeben war nicht zu denken. Wenn sie wegrannten, würden die Wachen sie wahrscheinlich im Licht des Scheinwerfers, der am hinteren Ende des Panzerwagens montiert war und einen großen Halbkreis auf die Gleise hinter dem Zug warf, ausmachen können.
Sie gaben alles, was in ihnen steckte. Pitt war größer und hatte längere Arme. Er erwischte das Geländer einer Leiter, wurde nach vorne gerissen und hievte sich, den Schwung ausnutzend, auf den Güterwagen.
Giordino griff nach vorne und verpaßte die hintere Leiter des Wagens nur um wenige Zentimeter. Das Gleisbett bestand aus Kiesel, auf denen man nur schwer rennen konnte. Er drehte sich um, um einen schnellen Blick nach hinten zu werfen. Seine einzige Hoffnung lag jetzt darin, auf den Wagen unmittelbar vor dem Panzerwagen mit den Wachen zu springen.
Giordino kam es vor, als ob sich die Leiter, die von dem Tieflader vorsprang, mit Schallgeschwindigkeit näherte. Er sah nach unten, wo die stählernen Räder in verdächtiger Nähe dahinrollten.
Entweder er griff daneben und würde überrollt oder er würde von den Wachen erschossen werden.
Keine der beiden Vorstellungen gefiel ihm.
Als die Leiter vorbeiflitzte, ergriff er mit beiden Händen eine Sprosse und wurde von den Beinen gerissen. Verzweifelt klammerte er sich fest, während seine Beine in der Luft ruderten. Giordino ließ mit einer Hand los und griff nach der nächsten Sprosse. Dann zog er seine Füße nach, bis sie auf der unteren Sprosse Halt fanden.
Pitt wartete einen Augenblick, um Atem zu schöpfen, und kletterte dann aufs Dach des Containers.
Erst jetzt, beim Umdrehen, entdeckte er, daß Giordino nicht da war, wo er hätte sein sollen. Er warf einen Blick nach unten, sah die dunkle Gestalt, die sich an der Seite des Güterwagens festklammerte, und erkannte den weißen Schimmer von Giordinos verbissenem und entschlossenem Gesicht.
Pitt mußte hilflos zusehen, wie Giordino dort einige Sekunden lang bewegungslos hing und sich an die Leiter des Containers klammerte, während der Güterwagen schwankend dahinratterte.
Er wandte den Kopf um und blickte den Zug entlang. Die vordere Lokomotive befand sich nur noch einen Kilometer von der Sicherheitsstation entfernt. Dann ließ ihn sein sechster Sinn herumfahren, nach hinten blicken, und er erstarrte.
Ein Wachposten stand auf einer kleinen Plattform am Ende des Panzerwagens. Die Hände hatte er auf das Geländer gelegt und sah zu, wie unter seinen Füßen die Wüste dahinsauste. Er schien in Gedanken versunken. Er mußte nur den Kopf wenden und den Zug entlangschauen, und um Giordino war es geschehen.
Der Wachposten streckte sich, drehte sich um und trat wieder in die angenehme Kühle des Panzerwagens.
Giordino verlor keine Zeit mehr und kletterte die Leiter zum Container hoch. Dort legte er sich hin und preßte seinen Körper gegen das Dach. Er atmete schwer. Die Luft war immer noch heiß und trug den Gestank vom Auspuff der Dieselmotoren mit sich. Giordino wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine Augen suchten auf dem vor ihm fahrenden Güterwagen nach Pitt.
»Spring rüber«, überschrie Pitt den Lärm des polternden Güterzuges.
Vorsichtig, auf Händen und Knien krabbelnd, warf Giordino einen Blick nach unten auf die schemenhaft vorbeihuschenden Betonschwellen und Schienen. Er wartete einen Augenblick, um Mut zu schöpfen, stand dann auf, nahm kurz Anlauf und sprang.
Seine Füße verfehlten den vorderen Wagen um einen halben Meter, und er landete mit ausgestreckten Armen auf dem Dach.
Als er sich nach Hilfe umsah, war keine da.
Pitt, der volles Vertrauen in das athletische Können seines Freundes setzte, musterte mit kühler Miene die Klimaanlage auf dem Container, die dafür sorgte, daß die hochbrennbaren Chemieabfälle infolge der enormen Hitze auf ihrem Weg durch die Wüste nicht in Brand gerieten. Es handelte sich um ein besonders leistungsfähiges Aggregat. Sein Kompressor wurde von einem kleinen Benzinmotor angetrieben, dessen gedämpftes Auspuffgeräusch man kaum hörte.
Während die Lichter der Sicherheitsstation vor ihnen schimmerten, dachte Pitt darüber nach, wie sie einer Entdeckung entgehen konnten. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, daß die Wachposten den Zug abschreiten würden, wie die Bahnpolizei das in den dreißiger Jahren während der Depression getan hatte, als sie mit Schlagstöcken bewaffnet Bahnhöfe und Züge nach Landstreichern und Diebesgut abgesucht hatte. Massardes
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