Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
darüber nachzudenken. Selbst wenn Slanski noch lebt und in Moskau ist, wird er unmöglich Erfolg haben. Der Kreml und Stalins Villa sind uneinnehmbar. Und bilden Sie sich nichts ein: Früher oder später wird Slanski erwischt. Es wäre besser für Sie, wenn Sie mir dabei helfen würden. Mir ist klar, daß Sie auch unter Druck nicht so leicht nachgeben. Dafür haben Sie schon zu viel ertragen und besitzen vermutlich Nerven aus Stahl. Aber in den Kellern der Lubjanka haben auch die stärksten Frauen am Ende immer geredet. Diese Leute benutzen Drogen und Folterwerkzeuge. Sie haben schon mutigere Menschen als Sie dazu gebracht, Verbrechen zu gestehen, die sie gar nicht begangen hatten.« Er zögerte und schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht, daß Sie so etwas erleiden müssen. Es ist die Sache nicht wert, Anna. Nicht für jemanden, der schließlich doch erwischt wird.«
Irgend etwas in Lukins Stimme brachte Anna dazu, ihn anzuschauen. Es war derselbe Ausdruck des Mitgefühls, den sie schon einmal in seinen freundlichen braunen Augen gesehen hatte.
»Meinen Sie Ihre Worte ernst, daß Sie nicht wollen, daß man mir weh tut?«
»Natürlich. Ich bin kein Ungeheuer, Anna. Aber wenn ich keinen Erfolg habe, wird man Sie foltern. Schlimmer, als Sie sich vorstellen können.«
»Wenn ich Sie bitte, mich zu töten, um mir den Schmerz zu ersparen? Würden Sie das tun?«
»Das kann ich nicht.«
»Wissen Sie, was ich vermute? Sie wollen mich nur glauben machen, daß Sie beinahe menschlich sind. Und Sie rechnen damit, daß Sie mich auf diese Weise zum Reden bringen.«
Lukin seufzte und stand auf. Er atmete tief durch, bevor er den Blick wieder auf Anna richtete. »Wissen Sie, was mein Vater immer sagte? ›Fang mit der Wahrheit an.‹ Er war ein Mann mit Prinzipien. Vielleicht hatte er zu viele Prinzipien für diese Welt. Ich habe es mit der Wahrheit versucht. Ich habe Ihnen erzählt, was Ihnen passiert, wenn Sie nicht reden. Sie wissen, daß Ihre Lage aussichtslos ist. Aber vielleicht haben Sie eine Zukunft, wenn Sie mir helfen.«
»Sie wissen, daß man mich niemals freilassen würde.«
»Das stimmt, aber jede Alternative ist besser als der Tod.«
«Was für eine Alternative?«
»Wenn Sie mir helfen, werde ich den Staatsanwalt bitten, Sie zum Strafdienst im Gulag zu verurteilen und nicht die Todesstrafe zu verhängen, wenn Ihr Fall vor Gericht kommt.«
Anna schwieg lange. Sie betrachtete die Bäume und den Schnee auf dem Boden; dann richtete sie den Blick wieder auf Lukin.
»Waren Sie schon mal in einem Gulag, Major Lukin?«
»Nein.«
»Dann haben Sie nie gesehen, was da geschieht. Wenn Sie es wüßten, würden Sie den Tod als die bessere Lösung betrachten. Im Gulag gibt es nichts als Brutalität, Hunger und ein langsames Verrecken. Man wird schlimmer behandelt als ein Tier. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie wissen wollen, weil ich wirklich nicht weiß, wo Slanski ist, falls er noch lebt. Ob Sie es mir glauben oder nicht, das ist die Wahrheit. Und selbst wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen. Ihre Freunde in den Kellern können tun, was Sie wollen, aber die Antwort wird immer dieselbe sein. Und diejenigen, die uns geholfen haben, wußten nichts von Slanskis Plänen. Wenn ich Ihnen ihre Namen gebe, werden Sie Slanski trotzdem nicht finden. Aber ich würde die Menschen der Folter und dem Tod überantworten.«
»Aber Sie können mir verraten, was Sie tun wollten, nachdem Sie Moskau erreicht hatten. Sie könnten mir ihre Namen geben.«
»Ich sage Ihnen nur eins: Gehen Sie zum Teufel!«
Lukin sah den Zorn auf ihrem Gesicht, als sie sich abwandte.
»Es tut mir leid, daß es so gekommen ist. Ich bewundere Ihren Mut, aber ich glaube, Sie machen einen Fehler. Und zwar deshalb, weil Ihr Mut unnötig und närrisch ist. Noch haben Sie eine Wahl, Anna. Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen. Eine lebenslängliche Freiheitsstrafe in einem Lager ist nicht besonders erfreulich, das stimmt. Aber es ist auf jeden Fall besser als die Alternative.« Er hielt inne. »Ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, ich möchte trotzdem, daß Sie diesen Moment erleben können.«
Anna blickte verwirrt auf. »Was meinen Sie damit?«
Lukin nickte dem Milizionär am Tor zu. Einen Augenblick später tauchte Pascha auf. Ein kleines Mädchen umklammerte seine Hand. Sie war sehr hübsch, trug einen roten Wintermantel, eine Wollmütze, Handschuhe und kleine braune Schuhe. Unsicher blickte die Kleine sich um.
Als Lukin sich umdrehte,
Weitere Kostenlose Bücher