Operation Zombie
Handys. Ich hatte eines dieser billigen Einwegdinger mit fünf Minuten Guthaben. Mehr konnten sich meine Eltern nicht leisten. Ich sollte sie damit an meinem Geburtstag anrufen, dem ersten Geburtstag, den ich nicht zu Hause verbrachte.
Wir waren in Alania stationiert, im nördlichen Ossetien. einer unserer wilden südlichen Republiken. Unsere offizielle Mission war die »Wahrung des Friedens«, das heißt, ethnisch begründete Kampfhandlungen zwischen den Ossetiern und der Minderheit der Inguscheten zu verhindern. Wir sollten etwa zu dem Zeitpunkt turnusmäßig versetzt werden, als sie uns vom Rest der Welt abschnitten. Eine Frage der »nationalen Sicherheit«, sagten sie.
Wer waren »sie«?
Alle: unsere Offiziere, die Militärpolizei, sogar ein Zivilist, der eines Tages aus heiterem Himmel auftauchte. Ein gemeines kleines Aas mit einem Gesicht wie eine Ratte. So nannten wir ihn auch: »Rattengesicht«.
Haben Sie je herausgefunden, wer er war?
Was, ich persönlich? Niemals. Und auch sonst keiner. Oh, wir murrten; Soldaten murren immer.
Aber für eine ernsthafte Beschwerde hatten wir gar keine Zeit. Unmittelbar nach Verhängung der Kommunikationssperre trat Alarmstufe Rot in Kraft. Bis dahin war der Dienst ein Kinderspiel gewesen - ereignislos, monoton, nur ab und an von einer Bergwanderung unterbrochen. Jetzt hielten wir uns manchmal tagelang am Stück in diesen Bergen auf, mit Kampfanzug und scharfer Munition. Wir waren in jedem Dorf, in jedem Haus. Wir befragten jeden Bauern und Reisenden und - ich weiß nicht - jede Ziege, die uns über den Weg lief.
Befragt? Wonach?
Ich weiß nicht. »Ist jeder der Familie anwesend?« »Wird jemand vermisst?«
»Wurde jemand von einem tollwütigen Tier oder Menschen angefallen?« Das war der Teil, der mich am meisten verwirrte. Tollwütig? Das mit den Tieren konnte ich ja noch nachvollziehen, aber Menschen? Außerdem wurden viele Untersuchungen durchgeführt, Leute mussten sich nackt ausziehen, während Ärzte jeden Zentimeter ihrer Haut untersuchten, um ... etwas ... zu finden; niemand sagte uns, was. Das alles ergab keinen Sinn, nichts davon. Einmal fanden wir eine ganze Kiste Waffen, 74er, ein paar ältere 47er, jede Menge Munition, wahrscheinlich von einem korrupten Opportunisten aus unserem eigenen Bataillon gekauft. Wir wussten nicht, wem die Waffen gehörten; Drogenkurieren oder hiesigen Gangstern, vielleicht sogar den mutmaßlichen »Vergeltungskommandos«, derentwegen wir überhaupt unseren Dienst taten. Und was haben wir gemacht? Alles dort gelassen. Dieser kleine Zivilist, Rattengesicht«, hatte eine private Sitzung mit einem der Dorf ältesten. Ich weiß nicht, worüber diskutiert wurde, ich kann nur eines sagen, dass die Leute fast zu sterben schienen vor Angst und sich andauernd bekreuzigten und stumm beteten. Wir verstanden überhaupt nichts mehr. Wir waren verwirrt und wütend. Wir hatten keine Ahnung, was wir eigentlich da machten. Zu unserer Kompanie gehörte ein alter Veteran, Baburin. Er hatte in Afghanistan und zweimal in Tschetschenien gekämpft. Es ging das Gerücht, dass während Jelzins Militäreinsatz sein BMP das erste war, das die Duma unter Beschuss nahm. Wir hörten uns seine Geschichten gern an. Er war immer gutmütig und immer betrunken - wenn er glaubte, dass er ungeschoren davonkam. Nach dem Zwischenfall mit den Waffen veränderte er sich. Er lächelte nicht mehr und erzählte auch keine Geschichten mehr. Ich glaube, danach hat er keinen Tropfen mehr angerührt, und wenn er mit einem sprach, was selten genug vorkam, dann sagte er nur: »Das ist nicht gut. Es wird etwas Schlimmes passieren.« Wenn ich versuchte, ihn danach zu fragen, zuckte er nur mit den Schultern und ging seiner Wege. Danach sank die Moral auf einen Tiefpunkt. Die Leute wurden nervös und misstrauisch. Rattengesicht war ununterbrochen da, lauerte in den Schatten, lauschte, spionierte und flüsterte unseren Offizieren ins Ohr. Er war auch an dem Tag dabei, als wir eine kleine, namenlose Stadt durchkämmten, ein primitives Kaff, das aussah wie das Ende der Welt. Wir führten unsere Standarduntersuchungen und Befragungen durch. Gerade wollten wir wieder zusammenpacken, da kam plötzlich ein Kind, ein kleines Mädchen, auf der Straße in die Stadt gelaufen. Sie weinte und litt offensichtlich Todesangst. Sie redete auf ihre Eltern ein - ich wünschte mir, ich hätte mir die Zeit genommen und ihre Sprache gelernt - und zeigte über das Feld. Dort kam eine weitere Gestalt,
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