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Opfer fliegen 1. Klasse

Opfer fliegen 1. Klasse

Titel: Opfer fliegen 1. Klasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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die Sonne hoch.
    Die Pizzeria war nicht weit von
der Hackenbeulstraße, wo Irene Flörchinger in Nr. 21 wohnte.
    Die Adresse erwies sich als die
linke Hälfte eines Doppelhauses, das nur wenig Garten hatte und etwas zu dicht
an der Straße stand. Die. war zwar verkehrsberuhigt, aber trotzdem keine Oase
der Stille.
    „Wenn die Dame jetzt nicht zu
Hause ist“, sagte Tim, „stecken wir eine Mitteilung in den Briefkasten.“
    Sie klingelten an der Pforte,
wo zwei Steinpfeiler aus Marmorquadern ein kunstvoll geschmiedetes Gartentor in
die Mitte nahmen. Daß die Flörchinger allein wohnte, ging aus dem Namenschild
hervor. ,1. Flörchinger’ war hinter der Klarsicht-Plastik zu lesen.
    Immer mehr allein lebende
Frauen, dachte Tim, kürzen ihren Vornamen ab — im Telefonbuch und am Eingang,
damit nicht gleich jeder Fremde merkt, daß hier ein weiblicher Single sein
Dasein verbringt, denn Einbrecher und noch Schlimmere spähen ja so ihre Opfer
aus. I. — das könnte auch Ingo heißen, Ignatz, Isidor oder Ismael. Aha, nichts
rührt sich. Also wieder nicht zu Hause.
    „Ich verstehe das nicht“, sagte
Karl, „solange ist man doch nicht beim Bestattungsinstitut, nur um den
geeigneten Sarg auszusuchen. Außerdem kommt die Trauerhilfe ins Haus, weint ein
bißchen mit und übernimmt alle notwendigen Formalitäten.“
    „Ihr seid ganz schön
pietätlos“, sagte Gaby. „Im übrigen genügen mir diese Weiber, die sich von
unreifen Teenie-Boys trösten lassen, statt Baldrian zu schlucken. Eine
unerfreuliche Witwe wäre das Letzte.“
    „Karl“, sagte Tim, „zück mal
Papier und Bleistift. Wir...“ Er hielt inne. Denn drüben bei der rechten Hälfte
des Doppelhauses hatten sie offenbar Aufmerksamkeit erregt.
    Die Haustür wurde geöffnet.
Eine Frau blickte heraus. Sie mochte 70 sein, war aber nicht damit
einverstanden und hatte vermutlich im Kleiderschrank ihrer Enkelin geplündert,
um wenigstens von hinten wie 17 auszusehen: in flippigen Sommerjeans mit
entsprechenden Sneakers. Dazu ein knallrotes T-Shirt mit einem unanständigen
Spruch als Aufdruck und je eine Plastikuhr am rechten und linken Handgelenk.
Die Frau hatte eine Fülle langer, blondgefärbter Haare mit ungenauem
Mittelscheitel. Die grünen Lidschatten leuchteten sicherlich auch im Dunkeln,
ebenso der grellrote Lippenstift. Die Haut war vom intensiven Sonnenbaden wie
Leder geworden und mit Altrosa-Puder überdeckt.

    „Huch!“ machte Karl leise.
    „Man sollte ihr sagen“,
flüsterte Gaby, „daß übermäßiges Make-up nicht mehr in ist. Natürlichkeit ist
angesagt.“
    „Du hast gut reden“, grinste
Tim.
    Die Frau blickte her und zeigte
lächelnd etwa 30 Jackettkronen. Tim hob grüßend eine Hand.
    „Guten Tag! Wir wollen zu Frau
Flörchinger.“
    „Die Irene ist nicht da.“
    „Ja, wir haben vergebens
geklingelt.“
    „Sie hat Trauer. Ist gestern
Witwe geworden.“
    „Wie schrecklich.“
    „Ich bin ihre Nachbarin.“
    Darauf wären wir nie gekommen,
dachte Tim. Er hatte den Namen an der anderen Pforte gelesen. Valentina Venske.
Sie kürzte nichts ab, vertraute offenbar auf das Gute in der Welt.
    „Wir müssen Frau Flörchinger
unbedingt sprechen“, erklärte Tim. „Sie wissen nicht zufällig, wo sie sich
aufhält?“
    „Doch, doch! Sie ist in der
Villa.“
    „Villa?“
    „Das Haus ihres Mannes. Des
Verstorbenen. Seine sterblichen Überreste sind ja nicht mehr dort, sondern
schon im Bestattungsinstitut. Muß alles seine Ordnung haben, nicht wahr. Und
Irene kann es kaum erwarten, dort endlich wieder zu schwimmen. Sie ist eine
Wasserratte. Wie ich auch. Aber ich schwimme aus Leidenschaft. Irene muß es
tun. Wegen ihres Rückens. Zwischen dem vierten und fünften Wirbel und dem
sechsten und siebten sind die Bandscheiben beschädigt.“
    „Schlimm!“ nickte Tim.
    „Kann aber auch sein zwischen
dem siebten und achten — solche Einzelheiten vergesse ich leicht.“
    „Dafür ist ja auch der
Orthopäde zuständig“, meinte der TKKG-Häuptling. „Ich glaube, wir sollten Frau
Flörchinger direkt aufsuchen. Wissen sie die Villen-Adresse?“
    „Aber ja. Ich bin mehrmals mit
Irene dort vorbeigegangen, und sie hat mir vorgeschwärmt von der luxuriösen
Schwimmhalle unten im Tiefgeschoß. Gesehen habe ich dieses Planschbecken noch
nicht. Aber es muß toll sein. Eine richtige Badelandschaft unten im Haus. Irene
hat versprochen, daß sie mich einlädt. So hat es auch sein Gutes, daß ich sie
als Nachbarin verliere. Die Temperatur ist beständig 26

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