Opfere dich
Kleiderschrank und auf der rechten ein Doppelbett und zwei Nachtkommoden. Auf dem Bett lag ein Mann. Er war nackt. Seine Augen waren geschlossen. Ein silbergraues Isolierband klebte über seinem Mund. Sein Brustkorb hob und senkte sich nicht. Seine Arme und Beine lagen vom Körper abgespreizt, unnatürlich verkrümmt.
„Was ist?“, fragte Malcolm. Doch er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern trat neben sie, seine Waffe immer noch im Anschlag.
Storm lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Das Schwein hat ihm die Extremitäten gebrochen, wie bei Gil.“
Malcolm prüfte das Badezimmer, steckte seine Handfeuerwaffe weg und gab Entwarnung. „Niemand da, außer der Leiche.“
Storm kam herein und schloss die Tür hinter sich, damit keiner der anderen Gäste mitbekam, dass es sich bei Zimmer Nummer sechs um einen Tatort handelte. Dann hängte sie das Schlüsselband um ihren Hals. Sie steckte die Waffe weg und stellte sich ans Bettende. „Es ist nicht der echte Neville Jordan, sondern der schmierige Kerl, der in seine Identität geschlüpft war und als angeblicher Versicherungsvertreter bei mir geklingelt hatte, an dem Abend, als der Wachsmörder mich anrief.“
„Weshalb sollte er unter diesem Namen hier absteigen? Das wäre doch viel zu auffällig.“ Malcolm nahm sein Handy aus der Jackentasche und drückte die Kurzwahltaste der Zentrale des PD auf seinem Mobiltelefon. „Er konnte sich doch denken, dass wir ihn und den echten Jordan suchen.“
„Der Killer muss das arrangiert haben, damit wir den Falschen finden. Neben der IP-Adresse ist das die zweite Fährte, die er für uns ausgelegt hat.“ Storm ging zur Nachtkonsole und betrachtete den Mann von oben bis unten.
Sie schätzte, dass seine Arme und Beine jeweils dreimal gebrochen worden waren. Körper und Bett sahen aus, als hätte der Killer mit einem harten länglichen Gegenstand auf die Extremitäten eingeschlagen, vielleicht mit einer Eisenstange. Aber sie konnte das aufgrund der Verfärbung der Haut nicht genau sagen. Einige Wunden waren weit offen, so dass der Knochen herausschaute. Bei anderen wiederum hatte der Psychopath nicht so fest zugeschlagen, dort war Jordans Haut annähernd intakt. Lediglich Knochen, die die Haut wölbten, ließen darauf schließen, dass ein Bruch vorlag.
Äußerlich ließ nichts darauf schließen, dass er vergewaltigt worden war. Sein Geschlechtsteil wirkte unversehrt. Storm wollte den Leichnam nicht wenden, um seinen Anus zu prüfen. Das war Lucilles Aufgabe. Zum Glück.
Malcolm war besorgt. „Wir sollten draußen auf Verstärkung warten. Der Wachsmörder könnte eine Bombe zünden, wie bei Gilbert Pinewood.“
Jordans Torso war unversehrt. Bis auf zwei Wörter, die in seinen Brustkorb geritzt worden waren: „Opfere dich“. „Das glaube ich nicht“, sagte Storm und zeigte auf den Leichnam. „Schon wieder eine Botschaft des Wachsmörders an mich. Er wollte, dass wir den Leichnam finden. Bei einem Brand hätte ich seine Nachricht nicht erhalten.“ Leichenflecken waren nicht zu erkennen. Die Leichenstarre musste sich schon wieder gelöst haben. Sein Gesicht war blass.
Malcolm berichtete der Zentrale in knappen Sätzen, was sie herausgefunden hatten, und gab die Adresse des Motels durch. „Schicken Sie Lucille und ihre Leute und die Spurensicherung. Die Kollegen von der Soko informiere ich selbst.“
„Der Killer hat ihm etwas in den Mund gestopft“, stellte Storm fest und beugte sich vor. „Das Klebeband ist gewölbt.“
„Ach ja“, sprach er in den Hörer. „Und sagen Sie dem Commissioner umgehend Bescheid. Sonst beschwert er sich wieder, dass er immer der Letzte ist, der etwas erfährt.“
Plötzlich sah sie, wie sich Jordans Kehlkopf bewegte. Ihr Herz schlug einen Takt schneller. Hatte sie sich getäuscht? Sie legte Zeige-und Mittelfinger an Jordans Halsschlagader. Und spürte Puls. „Er lebt!“, schrie sie fassungslos. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Malcolm an.
Er stockte. Dann beeilte er sich zu sagen: „Korrektur. Lucille wird nicht angefordert. Statt eines Leichenwagens brauchen wir einen Krankenwagen. Dringend! Wir haben hier das Opfer eines Gewaltverbrechens.“ Er legte auf und wählte Officer Patterson an.
Während er dem Officer den Stand der Dinge durchgab, entfernte Storm das Klebeband von Jordans Mund. „Ich übernehme die Verantwortung“, sagte sie rasch, weil Malcolm sein Gesicht verzog. Sie wusste selbst, dass sie Gefahr lief, Beweise zu vernichten, aber ein
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