Opfere dich
leerte.
Malcolm hatte recht. Sowohl Gilbert als auch Dakec Boranek waren auf ihre Weise aufdringlich gewesen. Gil hatte sie auf der Party ihrer Eltern an sich ziehen wollen, und der Wachsmörder konnte das durch die Terrassentür beobachten. Verdammtes Pech für Gil. Und Boranek wollte in der Maske des Vertreters unbedingt in ihr Haus eindringen. Für diese penetrante Dreistigkeit hatte er einen hohen Preis zahlen müssen.
„Es liegt auf der Hand, dass Dakec Boranek seine Handwerker-Masche wiederholen wollte. Als Vertreter spionierte er die Haushalte aus, um zu prüfen, ob sich ein Einbruch lohnen würde. Um sicherzugehen, dass er tatsächlich hereingebeten wurde, bot er eine Tornadoversicherung mit Konditionen an, die zu schön sind, um wahr zu sein.“
„Bleibt nur noch die Frage, wo der echte Neville Jordan ist“, sagte Malcolm nachdenklich und schwang mit seinem Bürostuhl herum, so dass er Storm ansehen konnte.
Sie zuckte mit den Achseln. „Bis wir Boranek befragen können, wird es noch Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern. Falls er überhaupt jemals wieder vernehmungsfähig wird. Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass Jordan noch lebt, kann mir aber auch nicht vorstellen, dass Boranek ihn getötet hat.“
„Nein, das sähe ihm nicht ähnlich. Es würde vielmehr zu ihm passen, dass er die Gunst der Stunde genutzt hat, um in die Haut von Jordan zu schlüpfen, als sich ihm die zufällige Gelegenheit dazu bot.“ Ihr Handy klingelte. Es lag neben der Kaffeemaschine. Sie ging zum Sideboard und meldete sich.
Es war Officer Patterson. Er klang aufgeregt. „Wir haben hier etwas. Ihr müsst sofort herkommen.“ Dann nannte er eine Adresse.
Storm kam sie bekannt vor. Das Haus musste sich im gleichen Viertel wie das ihrer Eltern befinden. Von gehobener Mittelklasse bis stinkreich. Die Grundstücke am Ufer des Lake Michigan waren teuer. „Was gibt’s?“, fragte sie und schaltete den Lautsprecher ein.
„Wir sind bei einer Kundin des Tierkrematoriums“, erzählte er. „Uns kam das Haus gleich spanisch vor. Kein Wunder, wenn ein verbrannter Hundekörper an der Haustür baumelt.“
„Wie bitte?“
Er lachte gequält. „Es ist ein Chihuahua, das wissen wir mittlerweile, weil im Haus unzählige Fotos von dem Köter stehen. Erkannt hätte ich das nicht, denn er ist von außen total verkohlt.“
Storm eilte zu ihrem Schreibtisch und nahm ihren Parka, den sie achtlos daraufgelegt hatte. „Alle Opfer des Wachsmörders waren Besitzerinnen kleiner Hunde.“ Auch Malcolm zog seine Jacke an.
„Sieht aus, als hätte jemand die Töle am Türrahmen des Hauseingangs befestigt und mit einem Schweißgerät oder Ähnlichem bearbeitet, denn die weiße Tür weist Brandspuren auf. Ich kann zwar Hunde, die mir nicht einmal bis zum Knie reichen, nicht leiden, aber solch einen Todeskampf hat kein Tier verdient. Scheiße, wer macht denn so etwas?“
„Der Wachsmörder zum Beispiel.“ Mit dem Telefon am Ohr folgte sie ihrem Partner hinaus aus dem Büro in den Flur. Es gab keine Zeit zu verlieren. Die Spurensicherung hatte Hundehaare eines Chihuahuas in ihrer Wohnung gefunden, aber sie kannte niemanden, der solch einen Hund besaß, und die Opfer hatten auch keinen Hund dieser Rasse. Daher hatte die Soko vermutet, dass der Killer die Fellhaare übertragen haben könnte.
„Es weist nichts darauf hin, dass hier ein Mann lebt. Wir haben bisher aber nur eine Frau gefunden.“
Sie blieb vor dem Aufzug stehen. „Eine weitere Leiche?“
„Nein, sie lebt, ist aber sehr schwach und geistig verwirrt. Außerdem liegt sie im Bett und schreit vor Schmerzen, wenn man sie anfasst. Ihre Haare fallen aus, sie liegen büschelweise auf dem Kopfkissen. Die Frau kann kein Opfer des Wachsmörders sein, weil sie nicht in sein Beuteschema passt. Philomena Priest ist dreiundsechzig Jahre alt.“
Der Aufzug ging auf, und Storm trat vor Malcolm ein. „Vielleicht ändert der Killer seine Vorgehensweise. Wäre nicht das erste Mal. Früher hat er nur Frauen gefoltert und vergewaltigt, neuerdings bringt er auch Männer um. Er hat Gilbert Pinewood und Dakec Boranek –“
„Wen?“, fiel Patterson ihr ins Wort.
„Den falschen Neville Jordan“, erklärte Storm. Der Aufzug setzte sich ruckelnd in Richtung Tiefgarage in Bewegung. Sie rechnete damit, dass sie keinen Empfang mehr haben würde, aber ihr Handy funktionierte weiterhin. „Er lebt noch, wobei die Betonung auf ,noch‘ liegt. Jedenfalls hat der Serienkiller seine männlichen
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