Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
welcher Stelle sich das Haus von Judith Reichenberg befand. Die Aschaffenburger Straße war einstmals die Landstraße in Richtung der Stadt gewesen, deren Namen sie trug. Heute führte die wie eine Autobahn ausgebaute Bundesstraße 26 parallel dazu in diese Richtung. Die Aschaffenburger Straße war damit zur Nebenstraße degradiert worden.
Margot fuhr über die Erbacher Straße am Hofgut Oberfeld vorbei und bog dann nach links auf die Landstraße ab. Die führte erst parallel zur Bundesstraße, um sie dann via Brücke zu überqueren.
Judith Reichenbergs Häuschen lag rechts der Straße, kurz vor der Abzweigung zum Jugendhof Bessunger Forst. Fast wäre Margot an der Zufahrt vorbeigefahren. Im Winter, wenn alle Bäume kahl waren, fand man die Einfahrt bestimmt leichter.
Sie fuhr sicher fünfzig Meter durch den Wald, bevor vor ihr eine lichte Fläche auftauchte. Das Haus dahinter war nicht sonderlich groß. Es erinnerte Margot ein wenig an das Ferienhaus von Ruth Steiner. Rechts neben dem Haus befand sich eine Doppelgarage, links lag ein Garten.
Margot parkte den Wagen einfach vor dem Haus. Ein Hexenhäuschen, dachte Margot. Aber vielleicht war es genau das, was Judith Reichenberg brauchte. Ein wenig Abgeschiedenheit, in der man allein sein konnte, wenn einem alles zu viel wurde.
Margot blieb noch kurz sitzen. Aber diesmal schlug kein Hund an. Sie stieg aus. Ging auf das Haus zu. An der Klingel stand der Name: Judith Reichenberg. Margot klingelte.
Die Haustür öffnete sich. Judith Reichenberg stand in einem hellen Sommerkleid vor ihr und sah Margot irritiert an. »Ja? Sie wünschen?«
»Frau Reichenberg, mein Name ist Margot Hesgart, von der Kripo Darmstadt.«
»Stimmt, Sie und Ihr Kollege waren vor ein paar Tagen doch bei mir im Büro. Wegen dieser Hexengeschichte, nicht wahr?«
»Genau.«
»Und was wollen Sie?« Judith Reichenberg stand immer noch im Türrahmen. Es wirkte nicht so, als ob sie Margot hereinlassen wollte.
»Ich würde gern noch mal mit Ihnen sprechen.«
»Das passt mir im Moment nicht.«
»Schade. Okay. Nun, ich kann auch ein andermal wiederkommen.«
»Worum geht es? Brauchen Sie noch mal fachlichen Rat? Dann kommen Sie doch vielleicht einfach morgen in mein Büro.«
»Nein. Es geht um Ihre Person. Damals. Um – nun, um das, was Ihnen widerfahren ist. Bevor Sie nach Amerika gegangen sind, mit Ihrem Vater.«
Auf Judith Reichenbergs Gesicht vollzogen sich innerhalb weniger Sekundenbruchteile mehrere Veränderungen. Erstaunen, Unglaube, Irritation, Wut, Ärger und dann Erleichterung.
»Ich glaube, wir sind dem Täter von damals auf der Spur. Wir warten gerade noch auf ein paar Laborergebnisse.«
»Okay«, sagte Judith, »kommen Sie herein. Ein paar Minuten habe ich.«
Sie öffnete die Tür. »Darf ich Sie in die Küche bitten. Mögen Sie einen Tee?«
»Ja, gern.«
Die Küche war rustikal eingerichtet. Margot setzte sich auf einen der hölzernen Stühle, die an einem ebenfalls hölzernen Küchentisch standen.
»Wie kommt es, dass Sie jetzt wieder an dem Fall arbeiten?«, fragte Judith Reichenberg. Sie stand mit dem Rücken zu Margot und hantierte an einer Teekanne.
»Ich bin im Rahmen anderer Ermittlungen auf Ihren Fall gestoßen. War mehr ein Zufall.«
»Der Emil-Sacher-Fall?«
»Ja. Genau der. Er und seine Freunde haben ja damals Ruth Steiner angegriffen. Kannten Sie Ruth zu der Zeit eigentlich schon? Sie ist ja etwas jünger als Sie.«
»Nein, ich kannte sie nicht – Moment, meinen Sie die Ruth Steiner aus dem Buchladen?«
»Ja.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie das damals war. Mein Gott, was für ein Zufall. Sie hat mich auch nicht erkannt, aber ich trage ja den anderen Namen.«
»Ja. Sie kannte Sie nur unter dem Namen Paula Trizzi. Die Polizei hat zu jener Zeit im Rahmen der Ermittlungen auch Philipp Kaufmann befragt, mit dem Sie befreundet waren.«
Judith Reichenberg antwortete nichts.
»Wenn Ihnen das Thema unangenehm ist, schweige ich. Allerdings wäre es sehr hilfreich, wenn Sie mir sagen könnten, an was Sie sich heute noch erinnern. Auch im Labor könnten wir dann gezielter suchen. Die DNA-Analyse ist heute sehr viel weiter, als sie es vor zwanzig Jahren war.«
Judith Reichenberg schwieg immer noch. Dann wandte sie sich Margot zu. »Was haben Sie herausgefunden?«
»Nun, es gab damals ja biologische Spuren. Die gibt es immer noch. Und wir können natürlich heute feststellen, ob es jemand von den vier Freunden aus dem Internat gewesen ist.«
»Ja. Die vier
Weitere Kostenlose Bücher