Opferlämmer
aber irgendwo noch ein Schalter sein, der die reguläre Stromzufuhr des Aufzugs kontrolliert. Der Täter musste die Kabine unmittelbar vor dem Erdgeschoss anhalten, damit eines der Opfer den Notrufknopf drücken würde. Mit der Hand am Knopf und den
Füßen am Boden wurde der Stromkreis geschlossen. Und jeder, der das erste Opfer absichtlich oder zufällig berührte, wurde ebenfalls unter Strom gesetzt.«
Sachs schaute sich um und fand den zweiten Schalter. Sie sagte es Sommers.
Er erklärte ihr genau, wie sie die Kabel abschrauben und was sie dabei beachten musste. Bevor sie jedoch irgendetwas vom Tatort entfernte, legte Sachs die Nummern aus und fotografierte alles. Dann dankte sie Sommers, und sie beendeten das Gespräch.
Danach schritt Amelia das Gitternetz ab, einschließlich der möglichen Zugangs- und Fluchtrouten – wobei es sich in beiden Fällen vermutlich um eine nahe Tür gehandelt hatte, die zu der Gasse neben dem Gebäude führte. Das klapprige Schloss war kürzlich aufgestemmt worden. Auch hiervon fertigte Sachs Fotos an.
Sie wollte gerade nach oben zu Pulaski aufbrechen, als ihr ein Gedanke kam.
Vier Opfer hier im Aufzug.
Sam Vetter und vier weitere Todesopfer in dem Hotel, dazu die Verletzten. Luis Martin.
Und die ganze Stadt in Angst vor diesem unsichtbaren Killer.
»Du musst zu ihm werden«, hörte sie Rhyme in ihrer Vorstellung sagen.
Sachs stellte die Beweismittel am Fuß der Treppe ab und kehrte zum Aufzugschacht zurück.
Ich bin er, ich bin Raymond Galt…
Es fiel ihr schwer, sich in den Fanatiker auf seinem Kreuzzug zu versetzen, denn diese Eigenschaften passten irgendwie nicht zu der äußerst berechnenden Art, auf die der Mann bisher vorgegangen war. Jeder andere hätte einfach auf Andi Jessen geschossen oder die Turbinenhalle in Queens angezündet. Galt hingegen schmiedete präzise durchdachte Pläne und benutzte überaus komplizierte Waffen, um zu töten.
Was hatte das zu bedeuten?
Ich bin er…
Ich bin Galt.
Dann kam sie zur Ruhe, und die Antwort ergab sich von selbst: Das Motiv ist egal. Ich kümmere mich nicht darum, wieso ich das hier tue. Es spielt keine Rolle. Ich muss mich nur auf die Technik konzentrieren; ich will die bestmögliche Kopplung, Schaltung, Verbindung herstellen, um den angerichteten Schaden zu maximieren.
Das ist das Zentrum meines Universums.
Ich bin süchtig nach diesem Vorgang, süchtig nach Elektrizität …
Und mit diesem Gedanken kam ein weiterer: Der richtige Winkel ist entscheidend. Er musste … ich muss die Sammelschiene genau so in Position bringen, dass sie den Boden der Aufzugkabine kurz vor dem Erdgeschoss berührt.
Das heißt, ich muss mir den Aufzug von hier unten aus zunächst mal eine Weile in Betrieb anschauen, und zwar aus allen möglichen Perspektiven, damit das Gegengewicht, die Zahnräder, der Motor oder die Verkabelung der Kabine nicht etwa meine Sammelschiene beiseiteschieben oder anderweitig in ihrer Funktion behindern.
Ich muss mir den Schacht aus allen Winkeln vornehmen. Ich muss .
Sachs kroch auf Händen und Knien rund um den Schacht am Kellerboden herum – zu jedem Punkt, von dem aus Galt das Kabel, die Sammelschiene und die Kontakte hätte sehen können. Sie fand weder Fuß- noch Fingerabdrücke. Aber es gab Ecken, die kürzlich verwischt worden waren, sodass sich zumindest der dringende Verdacht ergab, Galt könne von dort aus seine tödlichen Vorbereitungen getroffen haben.
Sachs nahm Proben von zehn verschiedenen Stellen und sicherte sie in jeweils einer eigenen Plastiktüte. Die Positionen
hielt sie wie mit einem imaginären Kompass fest: »3 m nordwestlich«, »2 m südlich«. Dann sammelte sie alle Beweise zusammen und quälte sich auf ihren arthritischen Knien hinauf in die Lobby.
Dort gesellte sie sich zu Pulaski und schaute in die Aufzugkabine. Die Beschädigungen hielten sich in Grenzen. Es gab einige Rauchspuren – und diesen furchtbaren Gestank. Amelia konnte sich einfach nicht vorstellen, wie es gewesen sein musste, in diesem Aufzug zu stehen und urplötzlich von dreizehntausend Volt geschüttelt zu werden. Wenigstens hatten die Opfer nach den ersten paar Sekunden nichts mehr gespürt, nahm sie an.
Sie sah, dass Ron Nummern ausgelegt und Fotos geschossen hatte. »Haben Sie was gefunden?«
»Nein. Ich habe mir das Innere der Kabine genau angesehen. Die Tafel mit den Knöpfen ist in letzter Zeit nicht aufgeschraubt worden.«
»Er hat alles im Keller installiert. Und die Toten?«
Pulaskis ernste,
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