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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Spannungsschwankung gehört?«
    »Ja.« Der Mann sagte noch etwas, aber Barzan hörte nur mit einem Ohr hin. Er wunderte sich, was der Typ hier verloren hatte, und schaute zum Laptop des Fremden – alle Techniker hatten natürlich so ein Gerät dabei, denn das gesamte Netz war computergesteuert. Aber der Mann überprüfte derzeit nicht etwa die Spannungsstärke oder die Unversehrtheit der Schaltungen. Auf dem Bildschirm war eine Baustelle zu sehen, offenbar diejenige, die sich ein gutes Stück über ihren Köpfen befand. Als hätte er eine hochauflösende Überwachungskamera angezapft.
    Und dann fiel Barzans Blick auf das Namensschild des Kerls.
    Ach du Scheiße.
    Raymond Galt, Leitender Servicetechniker.
    Barzan atmete geräuschvoll aus. Er dachte an vorhin, als sein Vorgesetzter alle Kollegen zusammengetrommelt und ihnen von Galt und seinem Verbrechen erzählt hatte.
    Und ihm wurde nun klar, dass das hier angeschlossene Kabel irgendwo einen zweiten Lichtbogen auslösen sollte!
    Bleib ruhig, ermahnte er sich. Es war hier unten ziemlich dunkel, und Galt konnte sein Gesicht nur undeutlich sehen; vielleicht hatte er Barzans Überraschung gar nicht bemerkt. Und die Bekanntmachung seitens der Firma und der Polizei lag noch nicht lange zurück. Womöglich hielt Galt sich schon seit Stunden hier auf und wusste nicht, dass die Cops nach ihm fahndeten.
    »Tja, Mittagspause. Ich sterbe vor Hunger.« Barzan klopfte sich auf den Bauch, erkannte dann aber, dass das ein wenig übertrieben wirkte. »Ich gehe mal lieber wieder nach oben. Mein Partner wird sich schon fragen, wo ich bleibe.«
    »Alles klar«, sagte Galt und wandte sich wieder seinem Computer zu.
    Auch Barzan drehte sich um, um den nächstbesten Ausgang anzusteuern. Er zwang sich, nicht einfach loszurennen.
    Was ein Fehler war.
    Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass Galt flink nach unten griff und etwas aufhob.
    Barzan wollte weglaufen, aber Galt war schneller und hieb ihm mit einem schweren Werkzeughalter aus Fiberglas auf den Helm. Der Schlag betäubte ihn und ließ ihn auf den dreckigen Boden stürzen.
    Fünfzehn Zentimeter vor seinem Gesicht sah Barzan eine dicke Hochspannungsleitung, die auf 138 000 Volt ausgelegt war. Dann traf ihn der Werkzeughalter ein zweites Mal.

… Fünfunddreißig
    Amelia Sachs machte, was sie am besten konnte.
    Na ja, vielleicht nicht am besten.
    Aber was sie am liebsten tat. Wobei sie sich am lebendigsten fühlte.
    Sie fuhr.
    Sie brachte Mensch und Maschine an ihre Grenzen, raste die Straßen der Stadt entlang und wählte scheinbar unmögliche Strecken, wenn man die Verkehrsdichte berücksichtigte. Schlängelte sich voran, schleuderte kontrolliert um Kurven. Wenn man schnell fuhr, ging das nicht sanft vonstatten, es war schließlich kein Tanz. Man zwang das Fahrzeug unter seinen Willen, hämmerte, zerrte und trat.
    Die Dinger hießen nicht umsonst Muscle Cars.
    Ihr Wagen war ein Ford Torino Cobra 428, Baujahr 1970, der Nachfolger des Fairlane, mit 410 PS und einem Drehmoment von erstklassigen 606 Newtonmetern. Und er besaß natürlich das optionale Vierganggetriebe, damit Sachs die Kraft auch voll auf die Straße bringen konnte. Die Schaltung war schwergängig und hakelig, und falls man den Gang nicht richtig reinbekam, konnte alles Mögliche kaputtgehen, bis hin zu den Getriebezahnrädern. Die Technik ließ sich nicht mal annähernd mit den heute üblichen Sechsgangsynchrongetrieben vergleichen, die alles verziehen und für Geschäftsleute in der Midlife-Crisis gedacht waren, mit Bluetooth-Freisprechanlage im Ohr und der abendlichen Restaurant-Reservierung im Kopf.

    Der Cobra keuchte, knurrte, winselte; er hatte viele Stimmen. Sachs spannte sich an. Sie betätigte die Hupe, aber noch bevor die Schallwellen den unaufmerksamen Fahrer erreichten, der ohne Schulterblick die Spur wechseln wollte, zog sie auch schon an ihm vorbei.
    Dennoch vermisste sie ihren letzten Wagen, einen Chevy Camaro SS, an dem sie und ihr Vater noch gemeinsam geschraubt hatten und der kürzlich der List eines Täters zum Opfer gefallen war. Doch ihr Vater hatte sie auch stets ermahnt, dass es nicht klug sei, sein Herz zu sehr an ein Auto zu hängen. Der Wagen mochte ein Teil von dir sein, aber er machte dich nicht aus. Und er war weder dein Kind noch dein bester Freund. Die Pleuel, Räder, Zylinder und Bremstrommeln oder die komplexe Elektronik konnten ausfallen oder beschädigt werden und dich im Stich lassen. Sie konnten dich sogar das Leben kosten, und

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