Opferlämmer
Kollegin von der Spurensicherung. Sie eilte zu Sachs.
»Was haben wir hier, Amelia?«
»Wir glauben, dass Galt irgendwo in der Schule eine Vorrichtung installiert hat. Um was genau es sich dabei handelt, wissen wir noch nicht. Ich gehe jetzt rein und schaue mich um. Könntest du die Leute befragen« – sie wies auf die Evakuierten – »und herausfinden, ob Galt gesehen wurde? Hast du sein Foto?«
»Auf meinem PDA.«
Sachs nickte und wandte sich wieder der Gebäudefront zu. Sie war sich unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, und rief sich Sommers’ Warnungen ins Gedächtnis. Wo man eine Bombe verstecken könnte oder wo ein Scharfschütze Position beziehen würde, wusste sie. Aber Strom konnte überall zuschlagen.
»Was genau hat Charlie über Galts mögliches Vorgehen gesagt? «, fragte sie Rhyme.
»Am wirksamsten wäre es, das Opfer wie einen Schalter zu benutzen. Dazu müsste man einen Türknauf oder ein Treppengeländer unter Spannung setzen und am Boden für Erdung sorgen. Falls der Boden feucht ist, reicht das auch. Der Kreis ist offen, bis das Opfer den Knauf oder das Geländer berührt. Dann fließt der Strom durch den Körper. Um jemanden zu töten, wäre keine hohe Spannung erforderlich. Oder man bringt jemanden dazu, mit beiden Händen eine Stromquelle zu berühren, sodass der Kreis mitten durch den Brustkorb verläuft. Auch das könnte tödlich sein. Aber es ist nicht ganz so effizient.«
Effizient … in diesem Zusammenhang ein ziemlich makabrer Begriff.
Hinter ihr näherten sich heulende Sirenen. Die ersten Krankenwagen trafen ein, dazu Fahrzeuge von Feuerwehr und Emergency Services Unit.
Sachs winkte Bo Haumann zu, dem Leiter der ESU, einem
schlanken, grauhaarigen einstigen Armeeausbilder. Er nickte zurück und fing an, seine Leute einzuteilen. Sie würden sowohl bei der sicheren Räumung des Geländes behilflich sein als auch Zugriffteams bilden, um nach Raymond Galt und etwaigen Komplizen zu suchen.
Nach kurzem Zögern drückte Amelia die Tür an der Scheibe auf, nicht am Griff, und betrat die Eingangshalle der Schule. Am liebsten hätte sie den Leuten zugerufen, sie sollten nicht mit Metall in Berührung kommen. Sie fürchtete jedoch, damit eine Panik auszulösen, bei der jemand verletzt oder gar getötet werden könnte. Außerdem blieben noch fünfzehn Minuten bis zum Ablauf der Frist.
Hier drinnen gab es jede Menge metallene Geländer, Knäufe, Stufen und Paneele. Doch nichts ließ erkennen, ob sie irgendwo an ein Kabel angeschlossen sein könnten.
»Ich weiß nicht, Rhyme«, zweifelte Sachs. »Sicher, hier ist Metall. Aber der größte Teil des Bodens ist mit Teppich oder Linoleum ausgelegt und dürfte nicht besonders leitfähig sein.«
Wollte er bloß ein Feuer auslösen und das Gebäude niederbrennen?
Dreizehn Minuten.
»Sieh dich weiter um, Sachs.«
Sie versuchte es mit Charlie Sommers’ kontaktlosem Stromdetektor. Das Gerät zeigte vereinzelte Spannungsquellen an, aber keine davon höher als die haushaltsüblichen Werte. Und auch nicht an Orten, die sich für einen Anschlag angeboten hätten.
Als sie an einem Fenster vorbeikam, fiel ihr draußen ein gelbes Blinklicht auf. Es gehörte zu einem Fahrzeug der Algonquin Consolidated, das neben dem Firmennamen die Aufschrift Notdienst trug. Zwei der vier Insassen waren Amelia bekannt: Bernie Wahl, der Sicherheitschef, und Bob Cavanaugh, der stellvertretende Geschäftsführer. Sie liefen zu einer Gruppe von Beamten, bei denen auch Nancy Simpson stand.
Erst jetzt, während sie die Leute beobachtete, fiel Sachs auf, was sich neben der Schule befand: die Baustelle eines großen Wolkenkratzers. Zurzeit wurde die Stahlkonstruktion errichtet, und die Arbeiter waren damit beschäftigt, die einzelnen Träger mit Bolzen und Schweißnähten zu fixieren.
Amelia schaute zurück zur Eingangshalle, aber dann war es plötzlich, als schlüge ihr eine Faust in den Magen. Sie fuhr herum und starrte auf die Baustelle.
Metall. Das alles war ein riesiger Haufen Metall.
»Rhyme«, sagte sie leise. »Ich glaube, es geht gar nicht um die Schule.«
»Wie meinst du das?«
Sie erklärte es ihm.
»Stahl … Ja, Sachs, das ergibt einen Sinn. Holt die Arbeiter da runter. Ich verständige Lon. Er soll sich mit der ESU abstimmen. «
Sie rannte zur Tür hinaus und auf den Container zu, in dem das Büro der Baufirma untergebracht war. Dabei blickte sie nach oben auf die zwanzig oder fünfundzwanzig Etagen, die sich gleich in ein gewaltiges
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