Opferlämmer
vielleicht ein Student – hatte den großen Messinggriff einer anderen Tür in der Hand, stand vorgebeugt da und bebte am ganzen Leib, während seine Blase sich entleerte. Zwei weitere, deren Hände auf dem Geländer der kurzen Treppe lagen, die zur Hotelbar führte, verharrten stocksteif, während das Leben aus ihren Körpern wich.
Sachs konnte sogar hier draußen das schauerliche Stöhnen hören, das tief aus der schwelenden Kehle einer Frau aufstieg, die ansonsten reglos dastand.
Ein massiger Mann sprang vor, um einen der Gäste zu retten
und ihn von dem Rufknopf des Aufzugs wegzustoßen, an dem die Hand des qualmenden Opfers klebte. Der gute Samariter mochte geglaubt haben, er könne den armen Kerl mit Wucht von der Wand lösen, aber er hatte seine Rechnung ohne die Geschwindigkeit und Stärke der Elektrizität gemacht. Sobald er das Opfer berührte, wurde er ebenfalls ein Teil des Stromkreises. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz zu einer faltigen Masse. Dann schmolz es zu dem leblosen Antlitz einer schaurigen Puppe, und das schreckliche Zittern fing an.
Blut rann aus den Mündern, als die Zähne sich in Zungen und Lippen gruben. Augen verdrehten sich in ihren Höhlen.
Eine Frau, deren Finger um einen Türknauf lagen, musste einen besonders intensiven Kontakt hergestellt haben; ihr Rücken bog sich in einem unmöglichen Winkel durch, ihre blicklosen Augen starrten zur Decke. Und ihr silbernes Haar ging in Flammen auf.
»Rhyme … es ist furchtbar, wirklich furchtbar«, flüsterte Sachs. »Ich rufe zurück.« Dann unterbrach sie die Verbindung, ohne auf seine Reaktion zu warten.
Sie und Simpson drehten sich um und winkten die Krankenwagen heran. Sachs ertrug es kaum, die zuckenden Arme und Beine zu sehen, die verkrampften Muskeln, die bebenden Leiber, die hervortretenden Adern, die Speichel- und Blutstropfen, die auf den glühend heißen Gesichtern verdampften.
»Wir müssen die Leute von dem Versuch abhalten, nach draußen zu fliehen!«, rief Cavanaugh. »Sie dürfen nichts anfassen!«
Sachs und Simpson liefen zu den Fenstern und bedeuteten den Menschen, sich von den Türen fernzuhalten, aber alle waren in Panik und strömten weiter auf die Ausgänge zu. Erst der schreckliche Anblick ließ sie stehen bleiben.
Schlagen Sie ihm den Kopf ab …
Sachs wirbelte zu Cavanaugh herum. »Wie können wir die Stromzufuhr des Gebäudes unterbrechen?«
Er zuckte die Achseln. »Wir wissen nicht, welche Quelle er angezapft hat. Es gibt hier in der Gegend U-Bahn-Linien, Hochspannungsleitungen, Speiseleitungen … Ich rufe in Queens an und lasse das ganze Viertel vom Netz nehmen. Das wird auch das Börsengebäude betreffen, aber wir haben keine andere Wahl.« Er zog sein Telefon aus der Tasche. »Leider wird es einige Minuten dauern. Sagen Sie den Leuten im Hotel, sie sollen sich nicht rühren. Und bloß nichts anfassen!«
Sachs lief zu einem der großen Fenster und winkte den Leuten hektisch, sie sollten zurückbleiben. Einige verstanden sie und nickten. Andere hingegen waren blind vor Panik. Sachs sah, wie eine junge Frau sich von ihren Freunden löste und zur Tür eines Notausgangs lief, vor dem bereits der schwelende Körper eines Mannes lag, der kurz zuvor den gleichen Versuch unternommen hatte. Sachs hämmerte an die Scheibe. »Nein!«, schrie sie. Die Frau sah sie an, lief aber mit ausgestreckten Armen weiter.
»Nein, nicht berühren!«
Die schluchzende Frau ignorierte sie.
Noch drei Meter bis zur Tür … anderthalb Meter …
Es ging nicht anders, beschloss Sachs.
»Nancy, schieß die Fenster ein!« Sachs zog ihre Glock, achtete darauf, dass niemand sich im Schussfeld aufhielt, und zielte hoch. Mit sechs Kugeln brachte sie drei der riesigen Lobbyfenster zum Einsturz.
Die junge Frau im Innern schrie auf und warf sich zu Boden, unmittelbar bevor sie den tödlichen Türgriff packen konnte.
Nancy Simpson zerschoss die Fenster auf der anderen Seite des Eingangs.
Beide Detectives sprangen ins Innere. Sie befahlen den Leuten, nichts Metallisches zu berühren, und fingen an, die Evakuierung in die Wege zu leiten, vorbei an den gezackten Scherben, die in den Fensterrahmen hingen. Die Lobby füllte sich mit Rauch und einem unbeschreiblichen Gestank.
… Achtunddreißig
»Der Strom ist abgeschaltet!«, rief Bob Cavanaugh.
Sachs nickte und schickte Sanitäter zu den Opfern. Dann suchte sie die Menge draußen nach Galt ab.
»Detective!«
Amelia Sachs drehte sich um. Ein Mann lief in ihre Richtung. Beim
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