Opferlämmer
wir jedes Jahr Tausende von Leben retten und zugleich die Firmen zu mehr Verantwortung erziehen. Als Folge würden sie sicherere Methoden des Stromtransports entwickeln. Und außerdem aufhören, die Erde zu zerstören.
Leute, wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen! Raymond Galt
Das war es also. Galt war der Ansicht, Firmen wie die Algonquin seien für seine Erkrankung verantwortlich. Und in der Zeit, die ihm noch blieb, wollte er zurückschlagen. Pulaski wusste, dass der Mann ein Verbrecher war, hatte aber dennoch ein wenig Mitleid mit ihm. In einem der Schränke hier standen zahlreiche Flaschen mit alkoholischen Getränken, die meisten mindestens zur Hälfte geleert. Außerdem Schlaftabletten und Antidepressiva. Das alles rechtfertigte keinen Mord, aber wie fühlte es sich wohl an, wenn man mutterseelenallein an einer unheilbaren Krankheit starb und den Verantwortlichen war es egal? Nun, Pulaski konnte verstehen, woher die Wut kam.
Er blätterte die Ausdrucke weiter durch, fand aber nichts Neues mehr, nicht einmal E-Mails, deren Adressen sie zurückverfolgen könnten, um eventuelle Freunde von Galt und Hinweise auf seinen Verbleib zu ermitteln.
Dann überflog er alles ein weiteres Mal und suchte vergeblich nach Codewörtern und Geheimbotschaften, weil er an Tucker McDaniels verrückte Theorie vom digitalen Umfeld denken musste. Schließlich meinte er genug Zeit damit verschwendet zu haben und schob die Seiten zu einem Stapel zusammen. Die nächsten Minuten verbrachte er damit, die restlichen Beweise und Spuren einzupacken und mit den erforderlichen Registrierkarten zu versehen.
Als er fertig war, ging Pulaski den dunklen Flur entlang zur Wohnungstür und spürte, wie seine Unsicherheit zurückkehrte. Sowohl der Knauf als auch die Tür waren aus Metall. Wo liegt das Problem?, fragte er sich verärgert. Du hast sie vor einer Stunde geöffnet, um die Wohnung zu betreten. Er hatte immer noch seine Latexhandschuhe an. Vorsichtig streckte er eine Hand aus, zog die Tür auf und trat erleichtert nach draußen.
Zwei Polizisten und ein FBI-Mann standen ganz in der Nähe. Pulaski nickte ihnen zu.
»Haben Sie es schon gehört?«, fragte der Agent.
Pulaski hielt kurz inne und entfernte sich dann weiter von der Stahltür. »Meinen Sie den zweiten Anschlag? Ja. Und ich habe gehört, der Täter konnte entwischen. Mehr weiß ich bislang nicht.«
»Es gab fünf Todesopfer. Es wären noch mehr geworden, aber Ihre Partnerin konnte viele der Leute retten.«
»Meine Partnerin?«
»Detective Amelia Sachs. Die Überlebenden sind zum Teil schwer verletzt, hauptsächlich durch Verbrennungen dritten Grades.«
Pulaski schüttelte den Kopf. »Das ist ja furchtbar. Hat er es
auf die gleiche Weise wie gestern getan, mit einem Lichtbogen? «
»Das weiß ich nicht. Es hatte jedenfalls mit Strom zu tun.«
»Mein Gott.« Pulaski ließ den Blick in die Runde schweifen. Ihm war noch nie aufgefallen, wie viel an und in einem typischen Wohnblock aus Metall bestand. Eine Art Paranoia überkam ihn. Die Metallpfosten und -stäbe und -stangen schienen überall zu sein. Feuerleitern, Luftschächte, Rohre, die unter der Erde verschwanden, Metallklappen über Lastenaufzügen im Gehweg. Und jedes dieser Teile konnte unter Starkstrom gesetzt werden, sodass es dich röstete oder zu einem tödlichen Hagel aus Metallstücken explodierte.
Fünf Todesopfer …
Verbrennungen dritten Grades.
»Alles in Ordnung, Officer?«
Pulaski lachte unwillkürlich auf. »Ja.« Am liebsten hätte er von seiner Angst erzählt, aber natürlich tat er es nicht. »Hat Galt Spuren hinterlassen?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Nun ja, ich muss das hier zu Lincoln Rhyme bringen.«
»Haben Sie irgendwas gefunden?«
»Ja. Galt ist eindeutig unser Täter. Leider deutet nichts auf seinen jetzigen Aufenthaltsort hin. Oder auf seine weiteren Pläne.«
»Wer überwacht seine Wohnung?«, fragte der FBI-Agent. »Können Ihre Leute das übernehmen?«
Was im Klartext hieß: Das FBI nahm gern an dem Zugriff teil, aber da Galt nicht hier war und wahrscheinlich auch nicht mehr herkommen würde – er musste inzwischen aus den Nachrichten wissen, dass man ihn identifiziert hatte –, wollte man keine eigenen Leute für nutzlose Wachdienste einsetzen.
»Das habe nicht ich zu entscheiden«, sagte der junge Beamte. Er funkte Lon Sellitto an und leitete die Anfrage an ihn weiter.
Der Lieutenant erklärte sich bereit, vorläufig zwei NYPD-Leuteunauffällig vor Ort zu
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