Opfermal
diese Filme«, sagte sie schließlich. »Ich habe mich nie gefragt, wieso das FBI immer unangemeldet aufkreuzt. Sie haben diesen Blick an sich. Wie die anderen. Unangemeldet.«
Markham schätzte sie auf Mitte dreißig. Er wusste von ihren Bildern, dass sie vor dem Verschwinden ihres Mannes sehr attraktiv gewesen war: sportlich, blond, blaue Augen, schöne Haut. Aber jetzt sah sie alt und abgehärmt aus, das trockene Haar wie ein Bündel Stroh nach hinten gekämmt, das Gesicht blass und fleckig, mit hohlen roten Augen.
Der Aschenbecher neben ihr quoll vor Kippen über.
»Verzeihen Sie mir, Madam«, sagte Markham. Er schüttelte das Wasser von seiner Aktentasche und zeigte seinen Ausweis. Sie forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Die Veranda lag auf der vom Wind abgewandten Seite des Hauses und war vollkommen trocken.
»Die Kinder sind im Haus«, sagte sie. »Sie sind alt genug, um zu wissen, was vor sich geht, deshalb bitte ich Sie wie Ihre Kollegen zuvor, leise zu sprechen. Die Reporter – waren welche vor dem Tor?«
»Nein. Werden Sie immer noch von ihnen belästigt?«
»Vom ersten Tag an. Aber wir haben unsere Kameras auch auf sie gerichtet. Es gibt eine beim Tor, in den Ziersträuchern versteckt. Ich wette, Sie haben sie jetzt nicht gesehen, oder?«
»Nein.«
»Ich nehme an, meine Schwester hat sie nur hereingelassen, weil sie gesehen hat, dass sie keiner von ihnen sind. Sie stört mich nicht mehr mit dem ganzen Kram. Sie war eine unschätzbare Hilfe für mich und die Kinder in dieser Zeit. Haben Sie diese Artikel gelesen, die sie über Randy gedruckt haben? In denen sie ihn schmutzig und korrupt nannten – wer sich mit Hunden niederlegt, wacht mit Flöhen auf, und solche Dinge.«
»Ja. Es tut mir leid, dass Ihre Familie das alles durchmachen muss. Wirklich.«
Tracy Donovan drückte ihre Zigarette aus und zündete sich eine neue an. Markham bemerkte die Blasen zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger. Sie hatte die Zigaretten bis auf ihre Haut herunterbrennen lassen – ob absichtlich oder unabsichtlich konnte er nicht sagen.
»Wissen Sie«, sagte sie und blies den Rauch aus, »Randy kam aus dem Nichts. Er ist in Providence, Rhode Island, in einem Arbeiterviertel aufgewachsen, das hauptsächlich aus Italienern bestand und wo man jeden misstrauisch ansah, dessen Name nicht mit einem Vokal endete. Da gab es diesen Jungen, der Randy in der Grundschule immer piesackte. Irgendein Versager aus einer kaputten Familie, der es nicht über die achte Klasse hinaus schaffte. Hat meinem Mann das Leben zur Hölle gemacht. Langer Rede, kurzer Sinn, dieser Typ wächst zu einem Kleinganoven heran, wird wegen einer Drogensache hopsgenommen und sieht mindestens zwanzig Jahren Haft entgegen. Aber wie es das Schicksal will, wen kriegt er nach all den Jahren als Anwalt? Ganz recht, Randys erster Fall als Pflichtverteidiger. Der Gauner konnte sich nicht an Randy erinnern, aber Randy erinnerte sich an ihn. Nun könnte man meinen, dass er immer noch einen Groll gegen ihn hatte, aber nicht Randy. Nein, er hat getan, was er konnte, um ihm ein milderes Urteil zu verschaffen. Hat selbst nach seiner Begnadigung noch ein wachsames Auge auf ihn gehabt. Das war Randy. Das Wichtigste für ihn war, dass jeder fair behandelt wird, egal, wer er ist. Von dieser kleinen Geschichte war in den Zeitungen nichts zu lesen, hab ich recht?«
Markham erzählte ihr von der Entdeckung Billy Cannings; er zeigte ihr die Bilder, erklärte ihr die Einzelheiten des Mords und sagte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Presse Wind von der Sache bekäme.
»Ich weiß nicht, ob er etwas mit meinem Mann zu tun hatte, falls sie darauf hinauswollen.«
»Nicht direkt.«
»Worauf dann?«
»Ich weiß, man hat Sie seit dem Verschwinden Ihres Mannes schon ausgiebig vernommen, aber ich würde Ihnen gern ein paar Fragen über Ihre Ehe stellen. Speziell über die sexuelle Seite Ihrer Beziehung.«
Tracy Donovan lächelte, aber Markham bemerkte, dass ihre Hand zu zittern begann und der Rauch von ihrer Zigarette in kleinen weißen Schnörkeln aufstieg.
»Das haben mich Polizei und FBI bereits gefragt. Und ich kann Ihnen nur sagen, was ich ihnen auch gesagt habe. Randy hätte mich nie betrogen. Sie alle verschwenden Ihre Zeit mit der Suche nach Liebesbriefen, nach dunklen Machenschaften auf seinen Computern, statt dass sie sich auf die Suche nach seinem …«
Sie brach ab, machte einen langen Zug von ihrer Zigarette und atmete langsam aus. »Das Einzige, was sie
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