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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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den potenziellen Käufern gemacht hatte. Es war ein großes Zimmer mit einem Erkerfenster mit Blick aufs Meer. Zum ersten Mal dachte Vera, dass dies vielleicht doch kein schlechter Ort zum Leben wäre. In der Ferne sah man ein paar winzige Lichter, Schiffe vermutlich, die bei derFlussmündung auf die Flut warteten, und weiter die Küste hinunter das hypnotische Aufblitzen eines Leuchtfeuers. Im Erker standen ein Campingtisch und drei Klappstühle, auf dem Tisch lagen ein Stapel Broschüren des Immobilienbüros, ein Grundriss des Hauses und Informationen zu Hypotheken. Andere Möbel gab es nicht. Hier ließ Caroline also ihre Kunden Platz nehmen, und zwar so, dass sie den Ausblick sahen und den verschrammten Fußleisten und der rotzgrünen Wandfarbe den Rücken zuwandten. Vera setzte sich auf einen Stuhl und bedeutete Caroline mit einem Kopfnicken, sich dazuzusetzen. Sie streckte die Beine aus, und der Stuhl ächzte. Die Maklerin betrachtete sie mit Missfallen.
    «Was hat Keith Mantel denn zu verlieren?», fragte Vera.
    «Es sieht doch ganz nach Korruption aus, oder nicht? Er wollte ein bestimmtes Ergebnis, und das hat er bekommen. Er ist jetzt ein bedeutender Mann, sitzt in Ausschüssen und berät mit Ministern über die Erneuerung von Stadtvierteln. Dass er als junger Mann ein bisschen über die Stränge geschlagen hat, mag ja sein. Eine bewegte Vergangenheit – das sieht man ihm nach. Aber die Fäden in einem Mordfall ziehen, der erst zehn Jahre zurückliegt und nicht vergehen will, das ist doch was ganz anderes.»
    «Warum hat er es mir dann erzählt?»
    Das regelmäßige Aufblitzen des Leuchtfeuers schien Caroline in den Bann zu ziehen. «Was weiß ich? Vielleicht hat er schon so lange den braven Bürger gespielt, dass er selbst dran glaubt. Vielleicht hat er genug mächtige Freunde, dass er denkt, ihm kann niemand etwas anhaben. Vielleicht hasst er mich auch so sehr, dass es ihm egal ist.»
    Die Bitterkeit und der Schmerz in der Stimme der Frau überraschten Vera. «Wann hat das angefangen zwischen Ihnen beiden?»
    «Bevor Jeanie Long bei ihm eingezogen ist, lange davor.»
    «Hatte er eine einleuchtende Erklärung für ihren Einzug?»
    Caroline wandte sich vom Fenster ab und zuckte wieder die Schultern. «Die brauchte er nicht. Ich wusste, dass Jeanie nicht lange bleiben würde. Sie war nur zum Zeitvertreib da, nicht wirklich sein Typ.»
    «Hat es Ihnen denn nichts ausgemacht, ihn zu teilen?»
    «Es hat mir viel mehr ausgemacht, ihn ganz zu verlieren.» Sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl, eingezwängt in ihr Kostüm, den kurzen, enganliegenden Rock und die schwarze Strumpfhose, und wartete auf eine weitere Frage. Doch es kam keine. «Seit ich ihn kenne, gibt es keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Ich sage mir immer wieder, dass ich mich wie ein bescheuerter Teenager verhalte und dass es vorübergehen wird, aber das tut es nicht. Ich bin mit Alex zusammengezogen, weil ich dachte, es würde sich dann ändern, aber das hat es nicht.» Sie schaute zu Vera hoch. «Sie müssen mich für übergeschnappt halten.»
    Darauf gab Vera keine direkte Antwort. «Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?»
    «Auf einer Party. Er war mit einer Freundin von mir befreundet. Ich nehme an, dass Keith gehört hatte, dass ich bei der Polizei war, und dachte, das könnte ihm nützlich sein. Ich hatte gerade erst als Detective Constable angefangen. Vielleicht hat ja sogar er dafür gesorgt, dass ich eingeladen wurde. Ich wusste damals nur, dass er Unternehmer war, ein Witwer mit einer kleinen Tochter. Keine Ahnung, was er an jenem Abend getan oder gesagt hat, das anders war als bei den anderen Männern, die mich auf Partys so anbaggern. Aber irgendwas ist passiert. Er hat sich in meinen Kopf gebohrt und in mein Herz. Ich war süchtig nachihm. Und das bin ich noch. An dem Abend, als Christopher Winter ums Leben kam, bin ich nicht zur Alten Kapelle gegangen, um herauszufinden, ob Sie mit Keith gesprochen haben. Ich habe mir das zwar eingeredet, aber es stimmte nicht. Ich wollte, dass er mich berührt. Ich brauchte meinen Schuss. Mir fehlt jede Selbstachtung, wie Sie sehen. Das macht die Sucht aus einem.»
    «Und was ist passiert?»
    «Nichts. Er hat gesagt, ich solle mich davonscheren. Ihn in Ruhe lassen   …» Sie schwieg einen Augenblick. «Ein paar Tage vorher hatten wir uns an der Landspitze getroffen. Ich wollte, dass wir unsere Geschichten absprechen, bevor Sie uns befragen. Da hat er mir gesagt, ich solle ihm vom

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