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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Mal.› Er glaubte wirklich, dass Mantel ein paar Bierchen trinken und das Ganze als Erfahrung verbuchen würde.»
    «Aber das tat er nicht.»
    «An jenem Abend kam er zu uns nach Hause. In der einen Hand eine Flasche Whisky, in der anderen einen großen braunen Umschlag. Ich versuchte, dabeizubleiben, aber Mantel schickte mich weg. Ich war dann ein paar Stunden unterwegs, und als ich wiederkam, ging er gerade. Mein Vater saß auf dem Fußboden. Das hatte ich vorher noch nie gesehen. Die Männer seiner Generation saßen nicht auf dem Fußboden. Um ihn herum auf dem Teppich lagen überall Fotos von dem Ausflug nach Portugal. Dad im Liegestuhl, auf ihm rekelt sich eine halbnackte Blondine. Dad, der neben Mantel im Restaurant sitzt und über einen seiner Witze lacht. Er saß auf dem Fußboden und weinte.»
    «Mantel hatte gedroht, an die Öffentlichkeit zu gehen?»
    «Er sagte, er würde den Zeitungen eine Geschichte zuspielen, nach der er Dad bestochen hatte, um die Genehmigung für das Projekt mit dem betreuten Wohnen zu bekommen. Er würde schon wieder auf die Beine kommen, meinte er. Dad jedoch nicht. Stellen Sie sich mal die Schlagzeilen vor:
Große Feriensause für Gemeinderat der Sozialisten. Sex und Sangria inklusive.
Natürlich war da etwas Wahres dran. Mein Vater hatte sich beeinflussen lassen. Er war ein Narr gewesen.
    Er machte sich nicht nur Sorgen, was seine Parteifreunde denken würden. Es ging ihm um die Leute, mit denen er im Club was trank, und um die Familie. Die ganzen Tantenund Vettern, die ihm während der Scheidung den Rücken gestärkt hatten.»
    James schwieg. Die Neonröhre flackerte erneut und wurde schwächer. Ashworth stellte sich auf seinen Stuhl und schlug gegen die Plastikverkleidung. Das Licht wurde wieder heller. James fuhr fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
    «Er war auf seine eigene Propaganda hereingefallen. Marty Shaw, der Anwalt der kleinen Leute. Daran hatte er geglaubt. Den echten Marty Shaw mochte er nicht leiden   … Ich habe ihm gesagt, dass er von seinem Amt zurücktreten könne. Sich eine Weile im Hintergrund halten. Die Leute würden es vergessen. ‹Die Leute vielleicht›, sagte er. ‹Ich nicht. Und du auch nicht.› Darauf konnte ich nichts erwidern. Er hatte eine Menge getrunken, und ich half ihm ins Bett.
    Als ich aufwachte, war er verschwunden und sein Auto auch. Ich dachte, er hätte sich bloß für ein paar Tage davongemacht. Das hätte ihm ähnlich gesehen, einfach wegzulaufen. Ich stellte mir vor, dass er sich mit einem alten Freund aus Fischereitagen irgendwo verkrochen hatte, sich selbst bemitleidete und seine Sorgen ertränkte. Ich machte weiter wie sonst auch, hielt den Kiosk am Laufen und entschuldigte ihn bei den Kunden.»
    «Aber er war nicht einfach weggelaufen.»
    «Nicht auf die Art. Drei Tage später wurde sein Wagen verlassen aufgefunden.»
    «Wo?»
    «In Elvet. Auf dem Parkplatz unten am Fluss.»
    Wo Vera am Tag zuvor mit Michael Long gewesen war. Gleich bei der Telefonzelle, von der aus Christopher Winter versucht hatte zu telefonieren.
    «Aber er saß nicht drin?»
    «Er hatte einen Zettel hinterlassen. Wenigstens die Mühe hat er sich noch gemacht. Alles Gute für mich. Ich möge ihm ein freundliches Andenken bewahren   …» James atmete tief ein. «Er muss gewartet haben, bis die Flut am höchsten stand. Er ist einfach in den Fluss rausgegangen. Schwimmen hat er nie gelernt. Er ging, bis ihn die Strömung packte, ihm die Füße wegriss und ihn in die Tiefe zog. Das Ufer ist dort ziemlich uneben, Schlick und Kies und Geröll. Vielleicht ist er auch gestolpert. Manchmal frage ich mich, ob er im letzten Moment wohl dagegen angekämpft hat. Ob er versucht hat, die Luft anzuhalten, als er unterging   … Ein paar Wochen später wurde seine Leiche angespült. Das war schon gar keine Leiche mehr. Sie haben ihn anhand der zahnärztlichen Aufzeichnungen identifiziert. Wenn ich spätnachts am Hafen arbeite, glaube ich noch manchmal, ihn zu sehen.»
    «Und daraufhin haben Sie dann Ihren Namen geändert?», fragte Vera. «Nach dem Selbstmord?»
    «Ja.»
    «Eine ziemlich heftige Entscheidung.»
    «Das verstehen Sie nicht. Es war ja nicht nur der Name. Ich wollte nicht mehr Marty Shaws Sohn sein, den man mit Bestechung und Schmiergeldern in Verbindung brachte. Ich wollte den Kiosk der Familie nicht weiterführen und auch nichts von Mitleid hören oder von dem Geschwätz der Kunden und der Familie. Ich wollte neu anfangen.»
    «Trotzdem  

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