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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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kürzlich zum Sortiment dazugekommen war, dass er nicht zum Angebot von vor zehn Jahren gehörte.
    Unten fand sie nichts Interessantes. Sie suchte akribisch, obwohl sie sich bewusst war, wie lange sie schon brauchte. Wollte sie etwa, dass Dan sie ertappte, damit sie ihn mit ihren Fragen konfrontieren und er sich rechtfertigen könnte? Auf jeden Fall ließ sie sich Zeit, durchforstete die CDs im Wohnzimmer und die Schubladen in der Küche, räumte das kleine Gefrierfach aus, um die hintere Seite abzutasten.
    Schließlich reichte es ihr. Sie machte die Eingangstür auf und schaute hinaus. Straße und Spielplatz waren immer noch leer. Sie zog ihre Sandalen wieder an und blieb auf der Schwelle stehen. Dann schloss sie die Tür ab und legte den Schlüssel zurück. Ein paar Holzspäne fielen aus dem Topf auf den betonierten Weg. Sie las sie auf und warf sie in den Rinnstein, als sie zu ihrem Auto ging.

Kapitel achtunddreißig
    Michael wusste, dass es zu nichts führen würde, wenn er Vera Stanhope jetzt aufsuchte. In seinem Kopf ging es drunter und drüber, die Gedanken jagten einander und wurden immer abstruser, aber er besaß noch genug Verstand, um sich darüber im Klaren zu sein, dass sie sich mit Theorien und Anschuldigungen nicht zufriedengeben würde. Sie würde nur einen durchgeknallten alten Mann voller Groll in ihm sehen. Warum sollte sie ihm zuhören?
    Eilig verließ er die Bibliothek, nahm sich kaum die Zeit, um sich bei Lesley zu bedanken, und blieb auch nicht stehen, um in Ruhe seinen Mantel anzuziehen, sondern stopfte ihn sich nur unter den Arm. Auf dem Platz hatten die Männer die Dekorationen fertig angebracht und probierten nun die Lichter aus.
Da ist überhaupt nichts Magisches dran
, dachte Michael. Er verstand nicht, weshalb so ein Aufwand getrieben wurde. Die Arbeit eines ganzen Vormittags, wofür? Die Glühbirnen waren auch nicht größer als die, die man zu Hause benutzte, aber sie hatten schreiende Farben, Pink, Grellgrün und Schwefelgelb. An einem Draht, der zwischen zwei Laternenpfählen gespannt war, hing ein Schneemann aus billigem Styropor. Er grinste die Vorübergehenden anzüglich an. Michael fand das schiefe Lächeln beunruhigend. Es verfolgte ihn die Straße hinunter bis zu
Val’s Diner
, wo er eine Tasse Kaffee trank und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er musste sich einen Plan zurechtlegen, was als Nächstes zu tun war.
    An der Bushaltestelle standen zwei Frauen, die aus Elvet in die Stadt gefahren waren, um ihre Einkäufe zu erledigen. Schon von weitem hörte er sie schnattern. «Nur noch ein Monat bis Weihnachten. Es geht doch immer schnell.» Sie trugen beide die gleichen kleinen Lederstiefel mit Pelzbesatz,und auf dem Bürgersteig um sie herum standen unzählige weiße Tragetüten, jede von ihnen war auf ihrer eigenen kleinen Plastikinsel gestrandet. Michael kannte sie. Wenn er sich einen Augenblick Zeit genommen hätte, wären ihm auch die Namen eingefallen. Sie waren mit Peg befreundet gewesen. Aber er jagte immer noch seinen Gedanken hinterher, die vor ihm davonzulaufen schienen, und alles andere war ihm bloß lästig. Er stellte sich hinter sie, in einer ordentlichen Schlange, und merkte plötzlich, dass er angesprochen wurde.
    «Michael, das ist ja nett, Sie mal unter Leuten zu sehen. Auch in der Stadt gewesen, um was zu erledigen?» Es war die Kleinere von beiden, mit dem krausen weißen Haar. Er sah sie misstrauisch an, versuchte zu ergründen, ob in ihrer Frage etwas Bedrohliches lag. Es kam ihm sogar kurz in den Sinn, dass sie eine Spionin für Mantel sein könnte, so ausufernd war seine Angst geworden. Dann sagte er sich, dass seine Phantasie mit ihm durchging. Er hatte zu lange nur vor sich hin gebrütet. Dennoch konnte es nicht schaden, vorsichtig zu sein.
    «Nein. Ich war nur in der Bücherei.»
    «Dann haben Sie nichts gefunden, was Ihnen gefällt?»
    «Bitte?»
    «Bücher. Sie haben gar keine Bücher dabei.» Sie sprach ganz langsam und schaute dann mitleidig zu ihrer Nachbarin.
    «Nein. Ich wollte mir nichts ausleihen. Ich wollte etwas im Lesesaal nachschlagen.»
    «Wie schade», sagte sie. «Eine gute Lektüre kann so heilsam sein.»
    Da kam der Bus, spuckte seine Abgase in die kalte Luft und enthob ihn der Notwendigkeit einer Antwort. Michael zahlte den vollen Fahrpreis, weil er sich nie um einen Seniorenpassgekümmert hatte, und die Hälfte der Heimfahrt musste er es über sich ergehen lassen, dass die beiden Frauen ihm erklärten, wie man es

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