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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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sie merkte, dass er es wirklich nicht verstand. Er besaß keinen Ehrgeiz und wollte niemanden beeindrucken. Damals hatte sie geglaubt, dass er niemals fähig wäre, jemanden hinters Licht zu führen.
    Aber das war, bevor sie das Dossier über Abigail Mantel gesehen hatte, das er in seinem Schreibtisch aufhob und über dem er hockte wie ein Perverser über Pornos aus dem Internet.
    Ihr Stolz hatte sie davon abgehalten, sofort zu handeln. Sie hatte sich einfach nicht eingestehen wollen, dass sie sich so sehr in jemandem getäuscht haben könnte. Dann war sie im Dorf gewesen und hatte gesehen, wie er Emma Bennett den Weg vom Fluss hoch begleitete, fürsorglich und aufmerksam, und sie hatte gesehen, wie Emma ihn anschaute. Das war wieder ein hübsches junges Mädchen. Nicht so jung wie Abigail gewesen war, als sie ums Leben kam, aber es gab Tage, an denen Emma noch aussah wie ein Teenager. Und sie hatte Abigail gekannt, die Leiche gefunden. Vielleicht besaß das für Dan ja einen besonderen Reiz. Man konnte nie wissen, was im Kopf mancher Menschen vorging. Nicht einmal der Psychiater brachte das fertig. Oder vielleicht wollte er Emma ja näherkommen, um herauszufinden, woran sie sich noch erinnerte. Wenn er tatsächlich irgendeine Beziehung zu Abigail gehabt hatte,würde er wissen wollen, ob sie das verraten hatte, ehe sie ermordet wurde.
    Stolz ist etwas Schreckliches, dachte Vera. Er machte sie schwächer, als sie war.
    Also schluckte sie ihren Stolz hinunter und stattete Caroline Fletcher einen Besuch ab. Sie hielt sich auch an die Regeln, rief vorher an, um zu fragen, ob es gerade passte. Diesmal veranstaltete sie keinen Zirkus, als sie an der Tür des erstrebenswerten Upperclass-Häuschens stand, diesmal zog sie keine Show ab.
    Caroline hatte sich nach der Arbeit umgekleidet und trug statt ihres Kostüms Jeans und einen schlabberigen Pullover, der ihr fast bis zu den Knien reichte. Ihr Freund war nicht zu sehen, und Vera fragte nicht nach ihm. Er wird wohl Squash spielen, dachte sie. Oder lang im Büro bleiben. Irgend so was. Im Wohnzimmer stand eine offene Flasche Weißwein in einem Kühler auf dem Boden neben dem Sessel. Caroline hatte ein Glas in der Hand gehabt, als sie die Tür öffnete.
    «Möchten Sie auch ein Glas?», fragte sie, offenbar bereit, ihrerseits Brücken zu bauen.
    Vera trank lieber Rotwein, aber es wäre unhöflich gewesen abzulehnen.
    «Worum geht’s denn diesmal?» Die Stimme der Frau klang vorsichtig, aber nicht unfreundlich.
    «Um Dan Greenwood», sagte Vera.
    «Was ist mit ihm?»
    «Was denken Sie über ihn?» Caroline sah sie an, ohne etwas darauf zu sagen, und Vera musste deutlicher werden: «Sie haben eng mit ihm zusammengearbeitet. Hatten Sie jemals irgendwelche Bedenken? Ich meine, kam sein Zusammenbruch aus heiterem Himmel?»
    «Ich bin kein Arzt.»
    «Als Kollegin. Als Freundin.»
    «Erwartet habe ich das nicht», sagte Caroline. «Er schien gefestigt zu sein. Aber vielleicht war es unvermeidbar. Er hat die Dinge an sich herangelassen, hat sie sich zu Herzen genommen.» Sie schwieg kurz. «Ich halte ihn nicht für dumm, aber er war dem Job nicht wirklich gewachsen. Der Politik, den Spielchen, die man spielen muss. Den Regeln, die man einhalten oder beugen muss. Er sagt, was er denkt, und kann nicht verstehen, wenn andere Leute es nicht ebenso halten. Er hat zur gleichen Zeit von Kündigung gesprochen wie ich. Ich hätte ihm nicht davon abraten sollen.»
    «Sie haben gekündigt, bevor er krankgeschrieben wurde?»
    «Ja. Jeanie Long vor Gericht zu bringen war meine letzte Arbeit.» Wieder schwieg sie. «Alle haben gesagt, ich würde auf dem Höhepunkt meiner Karriere gehen.»
    «Wie bald nach dem Gerichtsverfahren wurde Dan krank?»
    «Das weiß ich nicht mehr genau. Es ist schwer, das abzuschätzen, wenn man nach so langer Zeit zurückblickt. Alles wird irgendwie eins. Aber es war nicht lange danach. Ein paar Monate. Höchstens ein halbes Jahr. Prüfen Sie es doch nach. Die Personalabteilung hat es vielleicht noch in den Akten.»
    «Ich möchte es eigentlich nicht offiziell machen. Noch nicht.»
    Vera nippte an dem Wein, der noch kalt war und sehr trocken. Caroline sah sie über ihr Glas hinweg an. «Worum geht es hierbei?», fragte sie wieder, mit mehr Nachdruck. Was sie meinte, war:
Hören Sie mit dem Scheiß auf, Lady. Diese Spielchen kenne ich doch zur Genüge.
    «Schlafen Sie mit ihm?», fragte Vera geradeheraus.
    «Nein!» Caroline prustete los, so spontan und belustigt, dass

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