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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Kellnerinnen dachten schon ans Schichtende und standen schwatzend und kichernd am Tresen. Das Nachtischbuffet war geräubert, bis auf drei traurige Profiteroles, ein wenig Obstsalat, der schon braun wurde, und ein halbes Trifle.
    Vera erzählte ihm, wie sie das Mantel-Dossier in DanGreenwoods Schreibtisch gefunden hatte. «Es tut mir leid, ich hätte das nicht für mich behalten dürfen.»
    «Brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl? Wollen Sie sich dort mal richtig umsehen?»
    Sie saß so lange schweigend da, dass er die Frage schon wiederholen wollte. «Nein», sagte sie schließlich. «Nicht nötig. Ich habe auf eigene Faust ein bisschen rumgestöbert.» Sie erzählte ihm, wie sie das Haus am Crescent durchsucht hatte, und kam sich vor wie ein Kind, das eine Missetat beichtet.
    Ashworth sah sie an, als sollte sie es eigentlich besser wissen. «Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?»
    «Fürs Erste behalten wir das für uns. Ich sehe keinen Grund, es den Yorkies zu erzählen. Wir wollen nicht, dass Gerüchte in Umlauf kommen, wenn doch nichts dran ist. Aber wir werden ein Auge auf ihn haben. Ich gehe morgen hin und rede mit ihm. Mal schauen, ob mir irgendwas auffällt.»
    «Und was tue ich?»
    «Für Sie habe ich was ganz Besonderes. Sie werden sich mal ein bisschen umhorchen. Einen kleinen Ausflug machen. Das wird Ihnen gefallen.»

Kapitel einundvierzig
    Emma brachte Matthew nach Springhead House. Als sie dort ankam, blieb sie noch einen Moment im Wagen sitzen. Es widerstrebte ihr, ihn hineinzutragen. Sie war sich jetzt nicht mehr sicher, ob sie ihn abgeben wollte. Kämen ihre Eltern überhaupt mit ihm zurecht?
    Im Haus hielt Mary jedoch schon Ausschau nach ihnen. Sie musste das Auto gehört haben, denn der Küchenvorhang war beiseitegeschoben. Emma sah ihre Silhouette gegen das gelbe Licht und stellte sich vor, wie sie in die Dunkelheit spähte. Sie nahm Matthew auf den Arm und setzte ein fröhliches Gesicht auf. In der Küche tranken ihre Eltern Tee und taten so, als würden sie nicht auf sie warten.
    «Ich habe etwas Milch abgepumpt, dann muss ich mich nicht so beeilen, wenn ich ihn wieder hole», sagte Emma mit einer heiteren Stimme, die sie kaum als die ihre erkannte. Sie gab Robert den Kleinen. Fast wollte sie sagen:
Er ist nur geliehen. Er ist kein Ersatz für Christopher. Ihr dürft ihn nicht behalten.
Aber das wäre töricht gewesen.
    Wieder im Captain’s House, saßen sie und James verlegen am Küchentisch. Sie spürte eine eigenartige Zurückhaltung zwischen ihnen, eine Schüchternheit. Sie benahmen sich wie ein Paar in einem viktorianischen Roman, das der Anstandsdame entkommen war. Jetzt, wo sie allein waren, wussten sie nicht recht, was sie machen sollten.
    «Was würdest du gern unternehmen?», fragte James. «Ich könnte für dich kochen. Wir könnten ausgehen und irgendwo in Ruhe zu Abend essen.»
    «Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ruhig haben will», sagte sie. «In letzter Zeit gab es zu viel Ruhe. Etwas Lärm wäre nicht schlecht. Musik. Gespräche. Wäre es dir sehr zuwider, wenn wir einfach auf ein Bier in den
Anchor
gehen?»
    «Die Leute werden dich wegen Christopher löchern», sagte er. «Du weißt ja, wie sie sind. Verträgst du das?»
    «Ja, ich glaube, es wäre gar nicht so verkehrt. Irgendwie kommt mir das heilsamer vor, als so zu tun, als wäre es nicht passiert. Vielleicht sind ja Leute da, die ihn kannten. Schulfreunde.»
    «Es könnte eine Art Gedenken an ihn sein.»
    «Ja», sagte sie dankbar. «Ganz genau.»
    Sie ging nach oben, um sich ein Bad einlaufen zu lassen. Das Öl, das sie nahm, enthielt Sandelholz und Patschuli. Als sie es das erste Mal verwendet hatte, hatte er sie geneckt und einen Hippie genannt, aber sie gehörte nicht zu denen, die beim Glastonbury-Festival gezeltet hatten, und verstand gar nicht, worauf er hinauswollte, bis er es ihr erklärte. Als er zum Schlafzimmer ging, um sich umzuziehen, blieb er auf dem Treppenabsatz stehen und schaute zu ihr herein. Sie hatte die Badezimmertür aufgemacht, um den Dampf herauszulassen. Die Badewanne war alt, aus schwerer, fleckiger Emaille. Sie war sehr tief. Emma hatte Kerzen auf der Fensterbank angezündet, deren Duft sich mit dem des Badeöls vermischte. Die Haare hatte sie schon gewaschen und mit einem dünnen Seidenschal zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengebunden. Sie lag ausgestreckt im Wasser, ließ die Beine treiben, die Augen fielen ihr zu. Dann blinzelte sie und sah, wie er dastand und sie

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