Opferschuld
konnten, die abgetretenen Teppiche, die Stapel modriger Bücher. Es machte ihn ganz kribbelig, dass sie die nötigen Reparaturarbeiten nie in die Wege geleitet hatten.
«Wollt ihr eigentlich hier wohnen bleiben?», fragte er. «Wollt ihr nicht vielleicht umziehen?»
«Auf gar keinen Fall!», sagte Mary, als hätte er etwas völlig Undenkbares vorgeschlagen. «Wo sollen wir denn hin?»
«Ich weiß nicht. Ihr könntet euch was Kleineres suchen. Vielleicht im Dorf. In Emmas Nähe und bei den Geschäften …» Er brach ab, als er ihre Reaktion sah.
«Kommt nicht in Frage», sagte sie.
«Ich meine ja nur, weil es vorhin so klang, als wolltet ihr nicht hierher zurück …»
«Es tut weh. Aber dieser Ort hier ist alles, was uns noch mit Christopher verbindet.»
Danach sagte sie nichts mehr, und er dachte, er hätte sie gekränkt. Aber als er auf dem Hof gerade in seinen Wagen stieg, kam sie, noch in Hausschuhen, einen Mantel über die Schultern geworfen, zu ihm herausgelaufen.
«Danke für heute Nachmittag. Für das Essen. Dafür, dass du dich so gut um uns kümmerst.»
Er fragte sich, ob die Wirkung der Beruhigungsmittel schon nachgelassen hatte, denn sie kam ihm verstört vor, fast schon besessen.
«Kein Problem. Ihr seid immer willkommen, das wisst ihr.»
«Ich möchte auch etwas für euch tun. Für dich und Emma. Sie hat heute so blass ausgesehen, fandest du nicht?»
«Es ist eine schlimme Zeit für euch alle.»
«Ich möchte Matthew für einen Abend nehmen. Dann könnt ihr mal ein bisschen Zeit zu zweit verbringen. Vielleicht was trinken gehen. Das würde ich sehr gern tun. Wenn ihr mir das zutraut.»
«Natürlich trauen wir dir das zu. Du kannst ihn zu dir nehmen, wann immer du möchtest.»
«Dann morgen. Bringt ihn einfach her.»
Sie eilte zurück ins Haus, und James fragte sich, ob Robert überhaupt bemerkt hatte, dass sie weg gewesen war.
Als James beim Captain’s House ankam, stand Michael Long immer noch am Bushäuschen, die Hände in den Taschen, fest in seinen Mantel gewickelt. Er sah zu, wie James aus dem Auto stieg, erwiderte seinen Blick, als wollte er ihn herausfordern. Die Entfernung war zu groß, als dass James ihm etwas hätte zurufen können, und er schickte sich an, über die Straße zu ihm zu gehen. Die Kirchturmuhr schlug die volle Stunde. Michael blieb einen Moment wie angewurzelt stehen, dann huschte er in Richtung seines Bungalows davon.
Im Haus war Matthew schon im Bett, und Emma räumte die Geschirrspülmaschine ein.
«Meinst du, sie kommen klar?», fragte sie.
«Ich denke schon. Sie sind nur so unnahbar. Schwer einzuschätzen.»
«Ich dachte immer, dass du das an ihnen so bewunderst.»
«Vielleicht ist es ja nicht immer das Richtige.»
«Können wir schlafen gehen?», fragte sie.
Er fühlte sich nervös, als wäre es das erste Mal. Er hatte Angst, etwas falsch zu machen, etwas zu tun, was sie aufregen und die Stimmung verderben würde.
«Natürlich.»
Er war vor ihr im Schlafzimmer und wollte die Vorhänge zuziehen. Michael Long hatte seinen Posten im Bushäuschen wieder bezogen. Er sah zum Fenster hoch.
Kapitel vierzig
Vera Stanhope mochte Dan Greenwood, schon seit sie ihm das erste Mal begegnet war, bei einem dieser schauerlichen Schulungskurse, an dem teilzunehmen ihr Chef sie gezwungen hatte. Lauter übereifrige junge Polizisten, die sich aufführten wie Manager und darum wetteiferten, wer am meisten Begeisterung und Optimismus aufbrachte. Etwas Negatives durfte man da nicht sagen. Dan Greenwood hatte sie quer durch den Konferenzraum, über all die Tische und Stühle aus Buchenfurnier hinweg hilflos angeschaut, als wäre er in ein Spiel geraten, dessen Regeln er nicht kapierte. Und sie wäre die Einzige dort, die auf seiner Seite stand. Während sie zu ihm hinüberblickte, dachte sie, dass er überhaupt nicht in ein Gebäude eingesperrt werden sollte. Wenn man ihn so sah, zerzaust und ungezähmt, konnte man ihn eigentlich für einen Wildhüter halten, der es gewöhnt ist, sich draußen aufzuhalten. Vielleichthatte er ja gedacht, dass es genauso sein würde bei der Polizei: dass man alles in Ordnung hielt, das Ungeziefer ausmerzte.
«Machen Sie sich keine Gedanken, Herzchen», sagte sie ihm beim Kaffee. «Die meinen nichts davon wirklich ernst. Das ganze optimistische Gequatsche. Auf dem Revier meckern die anschließend genauso rum wie Sie und ich, machen früh Feierabend und kommen morgens spät.»
«Aber was soll das hier dann alles?», fragte er, und
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