Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
allem, was du erlebt hast. Komm mit nach hinten. Ich mache dir was Heißes zu trinken, und wir rufen den Arzt, dass er sich dich einmal anschaut.»
    Michael wehrte sich nicht, als sie ihn davonführte. Hinter dem Tresen ließ Barry seine Blicke von einem zum anderen huschen, seine Augen funkelten vor Vergnügen.
    Emma war erstarrt. Sie reagierte verzögert, wie ausgeknipst.Sie sah, wie James auf sie zukam, aber sie konnte sich nicht rühren.
    «Lass uns nach Hause gehen», sagte er. «Hier können wir nicht reden.»
    Das passiert also, dachte sie, wenn man in seiner Wachsamkeit nachlässt. Wie kann ich da bloß ein glückliches Ende draus machen?
    «Lass uns nach Hause gehen», sagte er wieder. Sie spürte die gaffenden Gesichter und neugierigen Blicke, stand auf und folgte ihm nach draußen. Aber kaum hatten sie die Straße überquert, da blieb sie stehen und schaute zu ihm hoch. Die Zweige des Baums neben ihrem Haus wurden gegen die Straßenlaterne geweht und warfen bewegte Schatten auf ihr emporgeneigtes Gesicht.
    «War davon irgendwas wahr?»
    «Manches. Ich habe meinen Namen geändert, als ich einundzwanzig war. Legal. Es gab Gründe dafür. Ich kann sie dir erklären, wenn du möchtest.»
    «Was ist mit deiner Familie? Sind sie wirklich alle tot?»
    «Nicht alle.»
    «Dann hast du mich also von Anfang an belogen.»
    «Nein. Als ich dich damals kennenlernte, war ich genau der Mensch, der ich heute bin.»
    «Hast du meinen Bruder umgebracht?»
    «Nein!», schrie er. «Warum sollte ich?»
    «Warum solltest du mich anlügen?»
    Sie konnte es nicht mehr ertragen. Sie brauchte eine vertraute, eine tröstliche Geschichte. Mit einem Mal drehte sie sich um und lief zurück über die Straße, auf die Schmiede zu.
     
    Emma läuft über den Platz, sie hält sich im Schatten, falls die Trunkenbolde im
Anchor
noch zuschauen sollten, underreicht die Schmiede. Sie stößt eine der beiden großen Türen auf, die einen Torbogen bilden, wie bei einem Kirchenportal. Der Raum ist hoch, und durch das verwinkelte Gebälk kann sie bis zu den Dachziegeln sehen. Sie fühlt die Hitze des Brennofens und sieht die staubigen Regale, auf denen unglasierte Tontöpfe stehen.
    Auf den ersten Blick scheint niemand dort zu sein. Alles ist ruhig. Sie macht die große Tür hinter sich zu, immer noch ganz leise. Die Tür bleibt einen Spalt weit offen stehen, aber wenn draußen jemand über den Platz liefe, würde er nur einen Streifen Licht sehen. Langsam geht sie vorwärts. Sie weiß, dass Dan da ist. Sie kann es spüren. Gleich wird er auftauchen. Er wird sie in die Arme nehmen. Er wird mit ihr nach Springhead House fahren, damit sie bei ihrem Kleinen sein kann. Alleine wird sie das alles nicht durchstehen.
    «Dan.» Sie stößt das Wort mit Mühe hervor, wie ein Wimmern, und doch hallt es in dem hohen Raum wider. «Dan, sind Sie da?»
    Aus der kleinen Vorratskammer kommt ein Scharren. Das kann kein Mensch sein. Es lässt Emma an Ratten denken, die im Müll herumstöbern.
    «Dan», sagt sie wieder, und dann taucht er auf, so wie sie es sich immer vorgestellt hat, zerknautscht und unordentlich und ganz versessen darauf, sie zu sehen. Sie steht dicht vor ihm und kann den Ton an seinen Händen riechen. Sie wartet darauf, dass er sie berührt. Als sie aufblickt, sieht sie noch jemanden im Rahmen der Tür zur Vorratskammer stehen. Diesmal ist es nicht die Kommissarin. Es ist der Mensch, den sie zuallerletzt hier erwartet hätte.

Kapitel zweiundvierzig
    Nachdem sie Ashworth losgescheucht hatte, der sich umhorchen sollte, ging Vera zur Töpferei. Die Türen waren zu, und das Schloss hing davor. Es war noch früh, also fuhr sie zu dem kleinen Haus am Crescent, wo Dan wohnte, aber als sie an die Tür klopfte, machte ihr niemand auf. Aus dem Nachbarhaus kam eine junge Frau mit einem Kleinkind im Buggy. Die musste auch gestern unterwegs gewesen sein.
    «Mr   Greenwood ist heute den ganzen Tag nicht zu Hause», sagte die Frau. «Es ist Kunsthandwerkermarkt. In Harrogate. Er ist früh losgefahren und kommt erst am Abend wieder, und dann muss er zur Töpferei, um auszuladen.»
    «Ah», sagte Vera, «stimmt ja.» Sie war überrascht, dass der sonst so verschlossene Dan so viel von sich erzählt hatte. Die Frau war attraktiv, auf eine blasse, abgespannte Weise. Vielleicht waren sie mehr als nur Nachbarn. Vielleicht trug sie ja schwarze, paillettenbestickte Slips, auch wenn Vera sich das nicht recht vorstellen konnte.
    «Geht es um was Geschäftliches?»,

Weitere Kostenlose Bücher