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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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sein.» Er sah sofort, dass er genau das Richtige gesagt hatte. Robert strahlte.
    Als sie im Auto saßen und nach Hause fuhren, entschuldigte Emma sich für Roberts Benehmen. «Er ist so unhöflich», sagte sie, «dauernd am Rumschnüffeln. Leuten wie ihm ist es zu verdanken, dass Sozialarbeiter einen so schlechten Ruf haben.» Nach dem Besuch in Springhead House hatte sie stets bessere Laune. Das Martyrium war wieder einmal überstanden. James dagegen war ungewöhnlich nervös. Obwohl seine Antwort Robert diesmal genügt hatte, würden bestimmt noch weitere Fragen kommen.
    Als sie zu Hause waren, wurde er lockerer, dachte, dass seine Panik lächerlich gewesen sei. Der Kleine hatte im Auto zu quengeln angefangen, und Emma nahm ihn gleich mit nach oben ins Bad. James zog seinen Anzug aus und lehnte sich in die Badezimmertür, um ihnen zuzusehen.Das hier war alles, wovon er je geträumt hatte. Das Haus. Die Familie.
    Sie gingen früh schlafen, denn er hatte immer noch Bereitschaftsdienst und stand mittlerweile vermutlich ganz oben auf der Liste. Er hatte immer zwölf Tage Dienst und dann acht Tage frei. Sofort fiel er in einen tiefen Schlaf, ohne sich wegen Robert noch weiter zu sorgen.
    Emma hatte ihn geheiratet, weil sie sich romantische Vorstellungen vom Meer machte. Und von ihm. Und diesen Vorstellungen war er nicht gerecht geworden.
    Der Gedanke durchfuhr ihn unwillentlich, wie ein Blitz, in dem Moment, da das Telefon ihn weckte, dem Augenblick, ehe er abhob. Dann war er aus seinem Gedächtnis verschwunden, wie die Überreste eines Traums verschwinden, sobald man richtig wach ist.
    Er wurde zur Arbeit gerufen, wie er es schon erwartet hatte. In der Leitstelle arbeiteten zwei Frauen, die die Anrufe von den Schiffen annahmen und dann den Lotsen, der als Nächster auf der Liste stand, anriefen, damit er an Bord des Schiffs ging, das sich der Mündung des Humber näherte oder aus dem Hafen auslaufen wollte. Er erkannte die Stimme sofort. Marcia. Sie mochte er lieber als Jo. Marcia war tüchtig und immer respektvoll. Er machte die Lampe neben dem Bett an und notierte sich die paar Einzelheiten, die er brauchte.
    «Der Frachter läuft aus Goole aus, Mr   Bennett.» Sie hatte eine sanfte Stimme. Er musste an eine Krankenschwester denken, die nachts Stationsdienst hatte. «Ein russisches Schiff. Hat Holz geladen.»
    Goole bedeutete, dass er lange unterwegs sein würde, mindestens acht Stunden, bis er wieder zu Hause wäre, aber heute machte ihm das nichts aus. Schnell zog er sich an, obwohl der Druck mitten in der Nacht, wenn kaumVerkehr herrschte, nicht so groß war. Am Tag konnte es ein Albtraum sein. Da reichte eine kleine Verzögerung auf der Straße nach Hull, und man verpasste die Flut. Einen Zeitpuffer gab es hierbei nicht. An solchen Tagen war selbst die Fahrt zur Lotsenstation der reinste Stress. Das machte Emma sich nicht klar. Sie glaubte, er habe keine Gefühle. Er empfinde nichts.
    Als das Telefon klingelte, hatte sie sich geregt, doch jetzt war sie wieder eingeschlafen, fest eingeschlafen, sie lag auf dem Rücken. Er hatte lange darauf gewartet, die richtige Frau zu finden, und kaum war er damals in den Seminarraum getreten, wo sie ihre erste Stunde vorbereitete, wusste er, dass er sie gefunden hatte. Sie schrieb gerade das russische Alphabet an die Tafel, konzentriert runzelte sie die Stirn im Bemühen, die Zeile gerade hinzubekommen. Er war der Erste, und sie hakte seinen Namen auf der Liste ab, ein junges Mädchen, das Lehrerin spielt. Als der Abendkurs vorbei war, drückte er sich noch im Gang herum und fragte, ob er sie auf einen Drink einladen könne. Als Dank dafür, dass sie die Stunde so schmerzlos gestaltet habe. Er sagte, als Kind habe er die Schule gehasst und sich noch jetzt kaum getraut, sich für die Erwachsenenbildung einzuschreiben.
    Natürlich hatte es andere Frauen vor ihr gegeben, aber er hatte ihnen nie etwas versprochen, hatte immer klargemacht, dass es für ihn nicht in Frage kam, sich zu binden. Er hatte sein Leben geplant. Er war ein Selfmademan, in jedem Sinne. Die richtige Frau zu finden war ebenso wichtig gewesen, wie der jüngste zugelassene Lotse auf dem Humber zu werden. Eisern hielt er sich an den Plan, zog keinerlei Abweichung in Erwägung. Er war ehrgeizig, aber da war noch etwas anderes. Der Plan hielt sein Leben zusammen. Und er funktionierte.
    Draußen regnete es immer noch, es nieselte ununterbrochen. In diesem Landstrich musste es mehr Abstufungen von Grau geben als

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