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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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eine junge Geliebte in das luxuriöse Haus gezogen, in dem Mantel immer noch wohnte. Die Frau am Strand war gut erhalten, hübsch zurechtgemacht, in der Art einer erfolgreichen Geschäftsfrau, aber sie war schon älter, mindestens in den Vierzigern. James machte den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Langsam ging er um die schwarze Limousine herum, er fasste sie nicht an, spähte aber durch die Fenster ins Innere. Es war ein Oberklassemodell mit Ledersitzen und dem neuesten technischen Schnickschnack im Armaturenbrett. Von dem Durcheinander, das Emma immer in ihrem Auto hinterließ – Babyklamotten, Bonbonpapierchen, Coladosen   –, war hier nichts zu sehen. Nicht einmal eine Aktentasche. Doch auf dem Beifahrersitz lag ein Stapel Briefe. Die Frau hatte ihre Post aus dem Kasten geholt, bevor sie sich auf den Weg machte, aber keine Zeit mehr gehabt, sie zu öffnen. Der oberste Umschlag lag mit der Vorderseite nach oben, eine Werbesendung von einem Kreditkartenunternehmen. James konnte die Schrift erkennen. Jetzt konnte er der Frau wenigstens einen Namen geben. Der Brief war adressiert an Caroline Fletcher.
    Als er endlich zu Hause ankam, war es schon zehn. Im Haus war alles ruhig. Matthew lag bestimmt schon in seinemBettchen, zurechtgemacht für den Vormittagsschlaf. Emma war im Wohnzimmer. Sie hatte ein Feuer angemacht, er hatte die Kiefernscheite schon gerochen, als er das Haus betrat. Sie saß in einem großen Sessel, die Beine angezogen, und in ihrem Schoß lag ein Buch. Flauberts
Madame Bovary
auf Französisch. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Als er näher kam, schreckte sie hoch.
    «Großer Gott», sagte sie, «tut mir leid. Ich hatte eine furchtbare Nacht mit dem Kleinen. Ich muss eingenickt sein. Und du bist bestimmt erschöpft.»
    «Halb so schlimm», sagte er. «Habe mich schon wieder erholt.» Er deutete mit dem Kinn auf das Buch. «Was ist das?»
    Die Frage schien ihr unangenehm zu sein. «Du weißt doch, wie es ist mit den Sprachen – man muss immer am Ball bleiben. Vielleicht kann ich wieder unterrichten. Ich will nicht ganz einrosten.»
    «Gute Idee. Magst du einen Kaffee?»
    «Schrecklich gern. Aber lass mich den machen.»
    «Nein, im Ernst», sagte er. «Ich habe mich wirklich schon wieder erholt.»
    Als er zurückkam, mit Kaffeebechern und der Keksdose, schlief sie bereits wieder tief und fest.

Kapitel elf
    Im Traum war Emma fünfzehn, und es war Sommer.
    Das Haus, in dem Abigail mit ihrem Vater wohnte, war sogar noch größer als das Haus in York, das Emmas Vater entworfen hatte. Ursprünglich war es eine Kapelle gewesen,die zu einem Herrenhaus mit sorgfältig angelegtem Garten und einem Park gehört hatte. In der Eingangshalle gab es immer noch ein hohes, bleiverglastes Fenster, auch wenn man das Buntglas entfernt hatte, um mehr Licht hereinzulassen. Das Herrenhaus war vor hundert Jahren bis auf die Grundfesten abgebrannt, und die Kapelle hatte ungenutzt dagelegen, bis Abigails Vater kam und sie umbaute.
    Jetzt deuteten bloß noch das hohe Fenster und das steile Dach auf den ursprünglichen Zweck des Gebäudes hin. Das Grundstück war neu bepflanzt und das Haus vergrößert worden. Es gab eine neue Garage und darüber eine Wohnung für die Haushälterin. Man hatte Steine der Ruine verwendet, um das Wohnzimmer zu bauen, in dem Jeanie Long auf dem Flügel spielte. Von dort führten Schiebetüren aus Glas in einen Wintergarten. Das Wohnzimmer war mit Stilmöbeln eingerichtet. Emma wusste, dass ihr Vater es verabscheuen würde – nachgebaute Anrichten aus dunklem Holz, mit Kissen überladene Sofas, Spiegel in vergoldeten Rahmen. Der Wintergarten dagegen, das spürte sie, würde ihm gefallen. Der Tisch und die Stühle dort waren schlicht und zweckmäßig. In Terrakottakübeln standen große Pflanzen, die Emma unwillkürlich an den Garten in York denken ließen. Von der Decke schaukelte eine gestreifte Hängematte herab.
    Jeanie Long übte gerade. Seit sie in das Haus gezogen war, um Keith Mantels Geliebte zu werden, hatte sie kaum noch damit aufgehört. Oft spielte sie dasselbe Stück wieder und wieder. Das machte Abigail fuchsteufelswild und führte zu endlosen Streitigkeiten – oder vielmehr hielt es die Feindseligkeiten am Leben, die mit Jeanies Einzug angefangen hatten. Abigail weigerte sich, mit der Frau zu sprechen. Sie knallte die Türen, aß nichts mehr, brach inTränen aus, wann immer ihr Vater da war und es mitbekam. Jeanie schlug mit der einzigen Waffe zurück,

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