Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
Mitternacht sein können. Im Haus fühlte Emma sich plötzlich sicher. Es war die gleiche Erleichterung, hereinzukommen, aus den Schuhen zu schlüpfen und sich einen Tee zu machen, wie in der Zeit, als sie noch gearbeitet hatte. Vielleicht ist es ja nur das, was mit mir nicht stimmt, dachte sie. Ich habe zu viel Zeit in diesem Haus verbracht. Ich weiß es nicht mehr zu schätzen. Vielleicht sollte ich so langsam wirklich wieder arbeiten gehen.
    James war wach. Er hatte die Vorhänge im Wohnzimmer zugezogen und Holz im Kamin aufgeschichtet. Der Raum war dunkelrot gestrichen, und an den Wänden hingen große Bilder in vergoldeten Rahmen, von denen er sagte, er habe sie von verstorbenen Verwandten geerbt. Er mochte den Raum sehr. Als sie hereinkamen, saß er auf dem Ledersofa und las Zeitung, doch dann stand er auf und nahm ihr Matthew ab, hob ihn hoch in die Luft, über seinen Kopf.
    «Das war aber ein langer Spaziergang», sagte er. Er klang nicht beunruhigt, und das nahm sie ihm übel. Da draußen lief ein Mörder frei herum, und James machte sich nicht einmal Sorgen. Stattdessen lehnte er am Fenstersims und strahlte sie an.
    «Wir haben Wendy besucht.»
    «Da hat sie sich bestimmt gefreut.»
    «Sie glaubt, der Mörder von Abigail Mantel könnte immer noch hier in der Gegend wohnen.»
    Er runzelte die Stirn. «Das ist wohl möglich. Bringt das alles wieder zurück? Wie ein Albtraum? Ich kann mir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie es für dich ist!»
    Sie war überrascht und bewegt, ging zu ihm hin und küsste ihn auf die Stirn.
    «Ich lasse nicht zu, dass euch etwas geschieht», sagte er. «Keinem von euch beiden.»
    «Ich weiß.»
    «Soll ich was kochen? Du machst den Kleinen fertig fürs Bett und legst dann die Füße hoch?»
    Genau so könnte es immer sein
, dachte sie. Sie würde ihre Träume von Dan aufgeben, der aufbrausend und unberechenbar war und, wenn sie es recht bedachte, nicht einmal besonders nett. Sie würden glücklich miteinander sein, sie beide. Sie würde kleine Zugeständnisse machen, zum Beispiel bereitwillig mit ihm in die Kirche gehen, mehrInteresse an seiner Arbeit zeigen und an regelmäßigem, wenn auch einfallslosem Sex, und er würde für sie sorgen. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie ihm in der Hinsicht vertrauen konnte. Er wäre damit einverstanden, dass sie wieder unterrichtete, auch wenn ihm der Gedanke nicht besonders gefiel. Ihre Ehe würde ohne Streitigkeiten oder Störungen fortbestehen und wäre mindestens so glücklich wie die Ehen ihrer Freunde. War es das, was sie wollte? Und verdiente sie es überhaupt?
    Als sie wieder nach unten kam, nachdem sie Matthew in den Schlaf gesungen hatte, war James in der Küche. Er stand vor der Arbeitsplatte und hackte Zwiebeln und Knoblauch, so konzentriert, dass er sie nicht kommen hörte. Er hatte sich Jeans und einen dünnen Wollpulli angezogen, den Pulli trug er auf der nackten Haut, und Emma ertappte sich dabei, wie sie eigenartig erregt daran dachte, dass die Wolle auf der Haut reiben musste. Sie blieb hinter ihm stehen und ließ ihre Hand unter den Pullover gleiten, wanderte mit den Fingern an seiner Wirbelsäule hinunter, bis in den Hosenbund seiner Jeans. Er drehte sich um, in der einen Hand noch immer das Messer, in der anderen die Knoblauchzwiebel, wehrlos. Er beugte sich herunter und küsste sie auf die Stirn, fuhr mit der Zungenspitze über ihre Lider.
    «Warum lässt du das nicht einfach liegen?», fragte sie. «Wir können auch später essen.» Es war ein Experiment. Konnte sie ihre Phantasien über Dan Greenwood vergessen und sich mit der Wirklichkeit zufriedengeben? Mit einem ruhigen, häuslichen Leben?
    James legte das Messer und den Knoblauch hinter sich auf die Arbeitsplatte. Es war, als hätte er die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die ganze Zeit über küsste er sie, und sie merkte, wie sie sich allmählich entspannte.
    Dann hämmerte es plötzlich an der Tür. Der schwere Türklopferwurde dreimal mit voller Wucht dagegengeschlagen. Der Laut schien in dem stillen Haus widerzuhallen. Emma hatte sofort das Bild von Vera Stanhope vor Augen. Sie war sich sicher, dass es Vera war, konnte sie deutlich vor sich sehen, wie sie breitbeinig dastand und ihr ganzes Gewicht in das Klopfen legte.
    «Wir brauchen es nicht zu beachten», sagte James. Emma kam das halbherzig vor. Es wäre viel zu verwegen für ihn, er hatte sich ja ohnehin schon so weit gehenlassen.
    «Nein», kam sie ihm zu Hilfe. Wenn es Vera Stanhope war,

Weitere Kostenlose Bücher