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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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gar nicht begangen   …» Barry ernährte sich vom Gerede. Vielleicht hatte das ihn so lange am Leben gehalten. Der unbedingte Ehrgeiz, nichts zu verpassen. Die Freude, wenn er das alles vor seinen abendlichen Kumpanen wieder auskotzen konnte. Sein Mundstand jetzt leicht offen, und er atmete schwer. Michael fragte sich, was Veronica je an ihm gefunden hatte.
    Bevor er auf eine Antwort kam, fiel Veronica ein. «Na türlich hat Jeanie die Kleine nicht umgebracht», sagte sie bestimmt. «Keiner von uns hat auch nur eine Sekunde lang geglaubt, dass sie es war.»
    Michaels Blick traf auf ihren. Er hoffte, dass sie nicht erriet, was er dachte.
    «Ich fand, ich könnte mich mal aufraffen und rausgehen. Ich kann ja nicht für immer in dem Bungalow sitzen und in Selbstmitleid baden.» Wieder sprach er nur zu ihr.
    «Du hast vollkommen recht, mein Lieber. Noch ein Pint?»
    Überrascht sah er, dass sein Glas schon leer war. Er nickte und schob eine Zehnpfundnote über den Tresen.
    «Schenk dir auch was ein», sagte er. «Und Barry auch.»
    Im Pub war nichts los. Draußen ließ der Regen nach, und der Himmel wurde heller. An der Decke über dem Tresen spannte sich ein Spinnennetz, das man in dem düsteren Licht vorher nicht hatte sehen können. Barry zündete sich eine Zigarre an. Er blähte die Backen, um den Rauch wegzupusten.
    «Na dann», sagte Michael. «Was war denn so los?» Er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Sie klang fröhlich. Nicht wie die Stimme eines Mannes, der ein paar Tage zuvor seine einzige Tochter bestattet hatte. «Was habe ich verpasst? Hab gehört, das Rettungsboot ist letzten Monat rausgefahren, in dem Sturm.»
    «Ein Trawler aus Grimsby», sagte Barry. «Motorschaden.»
    «Tote oder Verletzte?»
    «Nein. Sie haben alle sicher an Land gebracht.»
    «Gute Arbeit bei dem Wetter.»
    Michael versuchte, nicht zu sehr an die Rettungsaktionzu denken. Wenn er sich vorstellte, er wäre selbst dabei gewesen, hätte den tuckernden Motor und den Wind und das Knarren der Holzplanken gehört, das Salz und den Diesel geschmeckt, würde er nur wieder merken, wie sehr er die Arbeit auf den Booten vermisste.
    Barry steckte sich die Zigarre wieder in den Mund und paffte daran, sodass seine Wangen ganz hohl wurden und seine Augen noch mehr hervorstanden als sonst. Michael wartete schweigend. «Keith Mantel versucht, Geld für ein Schlauchboot zu sammeln», sagte Barry schließlich. «Für die Arbeit in Küstennähe. Für Angler, die auf den Schlammbänken stranden. Oder Kinder, die beim Schwimmen in zu tiefes Wasser geraten.» Mantel erwähnte er aus Bosheit. Vor allem anderen war der Wirt ein Unruhestifter. Ständig am Provozieren.
    Michael trank in kleinen Schlucken sein Pint, dachte nach, bevor er antwortete. «Klingt sinnvoll. Das kann man schneller zu Wasser lassen. Ist billiger im Unterhalt. Wendiger in seichtem Gewässer. Keith ist also immer noch tonangebend im Komitee?»
Keith.
Als ob sie Kumpel wären. Busenfreunde.
    «Ohne die Spenden, die er sammelt, würden sie es gar nicht schaffen.»
    Sie haben es auch geschafft, bevor er hier aufgetaucht ist, dachte Michael, aber er nickte zustimmend. «Man braucht einfach einen, der sich mit Geld auskennt.»
    «Da hast du aber mal ganz andere Töne angeschlagen», sagte Barry mit schneidender Stimme, aufgestachelt von Michaels milder Reaktion. «Ich dachte immer, du kannst den Mann nicht ausstehen.»
    «Ja, na ja. Vielleicht nehme ich auf meine alten Tage noch Vernunft an.»
    «Er gibt eine Benefizveranstaltung bei sich zu Hause.»Barry wusste nicht mehr anders weiter. «Wenn du willst, verkaufe ich dir eine Karte.»
    «Ich sag dir was, Barry, gib mir gleich zwei. Ich glaube, ich bringe eine Bekannte mit.»
    «Du machst Witze!»
    «Absolut nicht. Ist doch für einen guten Zweck.»
    Barry wusste nicht, was er darauf sagen sollte, und verschloss seinen Mund wieder mit der Zigarre.
    «Wohnt Keith immer noch in der Alten Kapelle?», fragte Michael.
    «Ja», sagte Veronica zögernd. «Er wohnt noch da.»
    «Nach der Tragödie mit seiner Tochter haben alle gedacht, er würde ausziehen.» Barry versuchte es mit einer neuen Masche. Er ist wie einer von diesen Jungs, die es in jeder Klasse gibt, dachte Michael, einer, der dauernd stänkert und so lange auf den anderen herumhackt, bis ihm jemand eine knallt. Und dann heult er, bis der Lehrer kommt. «Aber am Ende ist er doch geblieben. Er hat gesagt, er braucht die Erinnerungen.»
    «Aye, ja», sagte Michael. «Das kann ich

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