Opferspiel: Thriller (German Edition)
Rougestreifen die reinste Kriegsbemalung.
»Wir sind noch nicht fertig miteinander«, tobte sie weiter. »Ich will den Namen Ihres Vorgesetzten.«
Jo bemerkte das leichte Zittern ihrer Hand, als sie ein rosa Mobiltelefon aus ihrer Glamourhandtasche im Stil von Viktoria Beckham und Co. holte und versuchte, es einzuschalten. Sie trug eine weiße Röhrenjeans, einen Nietengürtel mit großer Schnalle und hochhackige weiße Ankleboots aus Krokoleder, die einen drei- oder gar vierstelligen Betrag gekostet haben mussten.
»Außerdem werde ich mich beim Oberarzt beschweren! Und falls Katie irgendeine Form von Rückschlag erleidet, werde ich das Justizministerium verklagen …«
Jo runzelte die Stirn. »Geben Sie immer anderen die Schuld, wenn etwas schiefläuft?«
Angie riss die Augen auf. »Sie ticken doch wohl nicht richtig! Haben Sie eine Ahnung, was ich hier durchmache?« Sie ging zu einem Stapel von Plastikstühlen an der Wand, hob den obersten herunter und ließ sich erschöpft darauf sinken.
Inzwischen war Jo darauf gekommen, was an ihr nicht stimmte. Das gleiche schräge Gefühl hatte sie, wenn sie einen umwerfend gut aussehenden Mann Hand in Hand mit einem Mädchen mit Brille, Haarband und Söckchen in den Sandalen sah. Diese Reaktion war nicht nett, aber menschlich. Angie war viel zu glamourös für Ryan Freeman. Er wirkte eher schlicht und bodenständig, wie ein Gewerkschaftsvertreter. Sicher, er war clever und bekannt, aber sein Akzent stammte aus dem falschen Stadtteil, und seine Kleider saßen nie richtig. Sie hätten vielleicht zueinandergepasst, wenn er viel Geld oder einen tollen Job gehabt hätte, aber keins von beiden traf zu. Er war ein Schreiberling und befasste sich mit Leuten, die Angie vermutlich nicht mal mit dem Stöckchen anfassen würde.
Jo setzte sich neben sie. »Ich sage Ihnen, was ich denke. Katie wurde vor etwa einem Monat entführt, aber Ihre Strähnchen sind höchstens ein paar Tage alt.«
Angie starrte sie ungläubig an.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Jo, »ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, dass Sie zum Frisör gehen, aber ich habe oft genug gesehen, was mit Menschen passiert, wenn jemand, den sie lieben, schwer verletzt oder getötet wird. Die äußere Erscheinung gehört zu den ersten Dingen, die nach einem Trauma vernachlässigt werden. Daraus schließe ich, dass Sie entweder mehr über das, was Katie zugestoßen ist, wissen, als Sie zugeben, oder dass es Sie kaltlässt.« Jo sah ihr ins Gesicht. »Ich würde eher zu der ersten Möglichkeit tendieren.«
»Ihre Sorte kenne ich«, zischte Angie. »Karriere an erster Stelle, Kinder an letzter. Nur weil ich nicht arbeiten gehe, meinen Sie, ich müsste in einem Jogginganzug mit Soßenflecken auf den Titten rumlaufen. Manche von uns legen eben ein bisschen Wert auf gutes Aussehen. Deswegen bin ich noch lange keine schlechte Mutter.«
»Lassen Sie uns die Geschichte mal zusammen durchgehen, ja?«, sagte Jo und dachte an das, was Sexton ihr letzte Nacht anvertraut hatte. »Sie werden von einer Über wachungskamera dabei gefilmt, wie Sie vor der Schule Ihrer Tochter eine Auseinandersetzung mit dem berüchtigtsten Drogenboss des Landes haben. Sie fahren davon, worauf Katie von der Person, mit der Sie gestritten haben, von der Schule weg entführt wird. Kurz darauf lässt man sie unbeschadet wieder frei. Meiner Ansicht nach konnte das nur geschehen, weil Sie Ihren Freund Anto Crawley kontaktiert haben, um sich zu entschuldigen. Hat er Katie daraufhin gehen lassen?«
»Sie dummes Miststück! Das nennen Sie unbeschadet? Sie kann nicht sprechen, Herrgott noch mal! Wissen Sie, was selektiver Mutismus ist? Eine seltene psychische Störung, verursacht durch extreme Furcht oder Trauer, die zu chronischer Depression führen kann. Sie ist neun Jahre alt!« Angie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich wollte sie beschützen, indem ich Crawley sagte, über was Ryan gerade schrieb, damit er Katie in Ruhe lässt. Er hat seine Schlägertypen zu mir nach Hause geschickt und damit gedroht, ihr was anzutun, wenn ich nicht mitmache. Was sollte ich denn tun? Was hätten Sie getan? Ich dachte, wenn ich Ryan nur dazu bringen könnte, nicht mehr über die Dubli ner Unterwelt zu schreiben, würde der Albtraum aufhören. Immer wieder habe ich ihm gesagt, er soll damit aufhören, es ist zu gefährlich, es interessiert sich doch sowieso niemand dafür! Was kann er schon bewirken? Die Gesetze werden sich nicht ändern. Kein Politiker tritt
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