Opfertod
der seine Werke in die ganze Welt exportierte, entwickelte sich der Verkauf zu einem zunehmend lukrativen Geschäft. Wehmütig geworden, legte er den Kamm zurück auf den Rand des Waschbeckens und ging zu Gemmy ins Hinterzimmer.
»Zieh einfach wie immer die Tür hinter dir zu, wenn du gehst«, rief Artifex dem Jungen noch zu, ehe er den Trödelladen verließ, um einen alten Bekannten aufzusuchen, einen bulligen Security-Menschen, der für die Organisation der Sicherheitsteams bei Pressekonferenzen verantwortlich war und ihm ohnehin noch einen Gefallen schuldete.
10
Auf dem Revier der Mordkommission
in der Keithstraße
Als Lena und Rebecca Brandt gegen Mittag auf dem Präsidium eintrafen, war Volker Drescher bereits außer Haus. Den Rest des Tages verbrachte Lena hinter ihrem Schreibtisch, um Wagenbachs Aussage auszuwerten. Lenas Büro war spartanisch eingerichtet. Ein Schreibtisch. Ein Bürostuhl. Ein Aktenschrank. Ein noch leeres Bücherregal. Das war alles. Wie in ihrer Wohnung gab es auch hier rein gar nichts, was auf ihre Vergangenheit hindeutete. Ursprünglich hatte Drescher für Lena einen anderen, weitaus größeren Raum vorgesehen, mit großen Fenstern und Blick in den Park. Doch dieser lag in unmittelbarer Nähe der Kaffeeküche, und das ständige Hin- und Herlaufen der Kollegen sowie das nervtötende Geklapper von Geschirr wären somit schon vorprogrammiert und ihrer Konzentration bei der Arbeit eher abträglich gewesen. Lena bevorzugte es, ihre Ruhe zu haben, und hatte sich daher für einen etwas abseits gelegenen Büroraum entschieden, der deutlich kleiner war, aber das machte ihr nichts aus. Lena war müde und noch immer mitgenommen von der vormittäglichen Befragung im Krankenhaus. An diesem Abend brauchte sie ein heißes Bad, ein Glas Wein und ein wenig Ruhe, um sich die Ergebnisse der Befragung noch einmal vor Augen zu halten. Doch bis dahin war noch reichlich Zeit. Lena verbrachte die kommenden Stunden damit, sämtliche Punkte von Christine Wagenbachs Aussage auszuwerten. Im Anschluss formulierte sie bereits erste Ansätze zum Profil des Täters und bereitete die morgige Konferenz vor, in der sie ihre Einschätzung über das weitere Vorgehen in dem Fall vortragen würde, ehe sie Christine Wagenbach im Krankenhaus einen erneuten Besuch abstatten wollte.
Es war bereits kurz nach einundzwanzig Uhr, als Lena ihr Büro verließ. Sie fuhr mit dem Aufzug runter ins Archiv, um Dr. Dobellis Ermittlungsakte herauszusuchen und zu Hause in aller Ruhe den Stand der Ermittlungen zu Zeiten ihrer Vorgängerin zu studieren. Im Untergeschoss war es angenehm kühl, obgleich die Luft so abgestanden und staubig war wie die Ermittlungsakten, die voll waren mit menschlichen Abgründen und sich in endlos langen Regalen aneinanderreihten. Altersschwache Neonröhren flackerten leise surrend vor sich hin, und Lena brauchte eine Weile, um sich im Archiv zu orientieren. Das Klackern ihrer Absätze hallte durch den Gang, ehe Lena dem Regal zugewandt stehen blieb. »Danner, Decker, Dirksen, Dobelli, da haben wir sie ja – und hier ist auch die Akte zum Fall«, murmelte sie vor sich hin und nahm die Akte heraus. Als sie den braunen Einband aufklappte, musste sie jedoch feststellen, dass der Inhalt fehlte. Lena verzog nachdenklich die Augenbrauen. Jemand hat die Akte entfernt … Lena wollte die leere Mappe gerade wieder zurückstellen, da vernahm sie ein leises, unheimliches Auflachen. Den Geruch von Zigarettenrauch bemerkte sie erst jetzt.
»Hallo? Ist da jemand?« Mit klopfendem Herzen lief Lena auf das Ende des Gangs zu, als sie ihn sah.
»Charly, Sie sind noch hier?« Der Archivar, mit dem sie am Vormittag auf dem Flur Bekanntschaft gemacht hatte, saß in seinem kleinen Kabuff und spielte mit einem Kumpan eine Partie Schach. Als er sie sah, drückte er rasch seine Zigarette im überquellenden Aschenbecher aus. »Sieht ganz so aus, wa? Ick lass den ollen Sack hier ja nich heimgehen, ohne noch eine Revanche zu kriegen«, brummte er und deutete mit dem stoppeligen Kinn zu seinem Gegenüber. »Dit hier is der Benno, ick glaube, man hat euch beide noch nich vorgestellt. … Benno, dit is Frau Peters.« Lena nickte Benno kurz zu, ehe sie sich Charly wieder zuwandte. »Sagen Sie, ich bin auf der Suche nach einer Akte, konnte aber nur einen leeren Einband vorfinden.«
»Um welche Akte handelt’s sich denn?«
»Um die letzte Ermittlungsakte von Dr. Dobelli.«
Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, veränderte sich etwas in
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