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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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hinausposaunt. Dabei waren es nicht ihre Worte gewesen, die seine Aufmerksamkeit geweckt hatten – nein, es war ihr eigenwillig geschwungener Mund, der ihn fasziniert hatte und für einen Moment beinahe vergessen ließ, dass er sich mitten in einem Café befand. Die spitz geschwungenen, leicht nach unten zeigenden Lippen, die ihr etwas Extravagantes und zugleich Trotziges verliehen. Artifex hatte sich regelrecht zwingen müssen, sie nicht weiter anzustarren; diese Lippen waren geradezu perfekt und würden seinem Werk jene besondere Note verleihen, nach der er schon so lange gesucht hatte. Woher hätte das dumme Ding auch wissen sollen, dass es niemals dazu kommen würde, diesen Artikel zu schreiben?
    Tilla dürfte mit seiner neuesten Errungenschaft überaus zufrieden sein.
    Artifex spürte, wie ihm kitzelnd der Schweiß den Rücken hinunterrann. In seiner Phantasie sah er die kleine Reporterin schon jetzt vor sich auf dem Operationstisch liegen. An Armen und Beinen gefesselt, würde sie dann langsam zu sich kommen, ihn aus angsterfüllten Augen anstarren, um ihr Leben betteln, während er ihr bereits die nächste Injektion setzen und mit der Amputation beginnen würde. Artifex zwang sich, die Vorstellung von der Reporterin aus seinem Kopf zu vertreiben, schließlich hatte er bis morgen noch einiges vorzubereiten. Er ging hinüber zu der spärlich eingerichteten Küchenzeile, nahm einige Fläschchen Aceton, Formaldehyd und Peroxidsäure aus dem versifften Küchenschrank, zog die Plastiktüte mit den Latexhandschuhen und den Skalpellen unter dem Spülbecken hervor und packte alles in seinen Rucksack.
    »Ich muss noch mal weg – werde den Abend dann bei Tilla verbringen, ich glaube, sie ist recht einsam, da draußen.«
    »Mmhm …«, murmelte Gemmy, weiter auf sein Computerspiel fixiert, bei dem er einem übermächtigen Ganoven ein ganzes Magazin Kugeln in die Brust jagte.
    Milde lächelnd ließ Artifex seine Augen noch einmal über Gemmys Körper gleiten. »Sehen wir uns morgen?«
    »Weiß nich … kann sein …«
    »Um die gleiche Zeit wie immer? Würde mich freuen.«
    Plötzlich riss Gemmy zornig den Kopf herum und sah mit blutunterlaufenen Augen auf. »Siehst du nich, dass ich beschäftigt bin? Außerdem bist du nich mein Vater, klar!« Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte er sich wieder dem Bildschirm zu und ballerte weiter drauflos.
    Artifex schluckte. »Na schön, wie du meinst …«
    Gemmy hasste nichts mehr, als eingeengt zu werden, das wusste er. Und es tat ihm in der Seele weh. Allein der Gedanke daran, dass Gemmy eines Tages nicht mehr wiederkäme, wie eine streunende Katze, die man angefüttert und liebgewonnen hatte, die dann aber plötzlich fortblieb, versetzte ihm einen Stich ins Herz. Eine Zeitlang hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, Gemmy bei Tilla in der Kellerwerkstatt einzuquartieren. Doch Tilla wäre damit bestimmt nicht einverstanden gewesen. Sie war immer schon sehr eigenwillig gewesen, auch wenn sie eine gute Seele war. Er ging ins Badezimmer und drehte an der niedrigen Decke die Glühbirne an. Nahm den Kamm vom schmutzigen Waschbeckenrand und zog das blondgewellte Haar zu einem akkuraten Seitenscheitel, während er sich in dem gesprungenen Spiegel aus strahlend blauen Augen ansah und sich zulächelte. Die markanten Gesichtszüge, die breiten Schultern – er konnte sich über sein Aussehen gewiss nicht beklagen. Zudem stand ihm das sportliche Jackett, das er neulich im Schlussverkauf erstanden hatte, ausgesprochen gut. Tilla sagte immer, er hätte ein Filmstar-Gesicht, aber das fand er reichlich übertrieben. Zumal ein Filmstar wohl kaum einen Trödelladen betreiben würde. Ramsch war nie sein Ding gewesen, aber seine ältere Schwester Tilla liebte diesen Laden. Und so hatte er es bis heute nicht übers Herz gebracht, ihn zu verkaufen. Und seit ihm der Mietvertrag für seine Zweizimmerwohnung im Wedding gekündigt worden war, hauste er im Hinterzimmer des Trödelladens. Nachdem er neben dem ganzen Plunder auch einige Berlin-Souvenirs in sein Sortiment aufgenommen hatte, verirrten sich hin und wieder auch Touristen in seinen Laden, so dass dieser inzwischen ausreichend abwarf, um damit über die Runden zu kommen. Und ganz nebenbei verkaufte er hin und wieder auch eines seiner ganz eigenen makabren Kunstwerke, an denen er Nacht für Nacht in seiner Kellerwerkstatt arbeitete, die er im Nordosten Spandaus für »besondere Zwecke« gepachtet hatte.
    Dank eines russischen Galeristen,

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