Opfertod
Charlys Ausdruck. »Wenn die nich im Regal steht, hab ick auch keine Ahnung, wo die is«, murmelte er und wechselte einen Blick mit Benno, ehe er sich erneut auf die Schachfiguren konzentrierte.
»Sind Sie ganz sicher?«, hakte Lena nach. Sie trat näher und beugte sich mit auf dem Tisch abgestützten Händen über das Schachbrett, um Charlys Blick einzufangen.
Ohne aufzusehen, nickte er und tippte mit dem Zeigefinger nachdenklich auf den Turm.
»Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf«, bemerkte Lena und ließ ihre Augen über dem Schachbrett kreisen. »Ziehen Sie mit dem Läufer, dann können Sie den König gleichzeitig Schach setzen und im nächsten Zug die Dame schlagen, ohne dabei Ihr Pferd zu verlieren.«
Er blickte überrascht auf und richtete sein Augenmerk erneut auf das Schachbrett, als fahre er im Kopf die Züge nach. Dann pfiff er leise durch die Zähne. »Gar nich so übel …«
»Moment, dit gilt jetzt nich«, maulte Benno.
»Red keen Unsinn, da wär ick natürlich auch von selbst draufgekommen.«
Lena grinste und ging.
»Ach, Frau Peters«, hörte sie Charly plötzlich hinter ihr rufen.
Sie blieb stehen und drehte sich auf dem Absatz um.
»Was Ihre Akte angeht, warum kommen Sie nich morgen Mittag noch mal vorbei? Ick kann ja mal sehn, was ick bis dahin für Sie tun kann …«
Lena schenkte ihm ein dankbares Lächeln und verschwand.
11
Als sie kurze Zeit später durch den Nieselregen auf ihrer Vespa nach Hause fuhr, hatte sie ein ungutes Gefühl im Bauch. Zum einen ging ihr Dr. Dobellis verschwundene Akte einfach nicht aus dem Kopf. Und es machte sie noch immer wütend, dass Drescher ihr keinen Ton von ihrer Vorgängerin gesagt hatte. Lena war stets für klare Verhältnisse, und Dreschers Geheimniskrämerei missfiel ihr gewaltig. Und zum anderen waren da noch die grausamen Schilderungen von Christine Wagenbach, die sie auch nach Dienstschluss nicht loslassen wollten. Lena wusste, das Einzige, was dagegen half, war Sport. Sie musste sich abreagieren, bevor sie wieder einmal die halbe Nacht wach liegen und sich den Kopf zerbrechen würde.
Als sie kurze Zeit später ihre Vespa im Innenhof vor ihrer Wohnung abstellte, regnete es in Strömen. Somit hat sich das mit dem Joggen wohl für heute erledigt , sagte sich Lena und beschloss, rasch ihre Sporttasche zu packen und stattdessen das Fitnessstudio auszuprobieren, von dem sie am Schwarzen Brett gelesen hatte.
12
Entgegen ihrer Befürchtung war es im Fitnessstudio, in dem Lena nach einer knappen halben Stunde angelangt war, angenehm leer. Lena zog sich rasch um. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe und schloss ihren Spind ab, ehe sie sich in schwarzen Leggings und einem dunkelblauen Top in den Kraftraum begab und zunächst einige Dehnübungen machte. Anschließend begann sie ihr Training mit Klimmzügen, bevor sie sich die Freihanteln zur Stärkung von Arm- und Schultermuskulatur vornahm.
»Sie müssen Ihren Rücken mehr durchstrecken«, erklärte ein vorbeilaufender Angestellter, dessen Trainingsanzug im gleichen kreischenden Blau gehalten war wie das Logo des Studios.
Lena lächelte ihm angestrengt zu und nickte.
»Falls Sie noch Hilfe benötigen, finden Sie mich dort drüben, alles klar?«
»Danke, aber ich komm schon zurecht.« Das Letzte, was sie nach diesem Tag brauchen konnte, war die Gesellschaft eines überengagierten Personal Trainers, der sie unentwegt anspornte.
Nach einer Weile setzte sie die Gewichte ab und ging hinüber zum Wasserspender.
»Peters«, hörte sie unerwartet eine Stimme hinter sich sagen, während sie ihren Plastikbecher volllaufen ließ.
Lena drehte sich um. Es war Volker Drescher, der mit einer geschulterten Squashtasche hinter ihr stand. »Herr Drescher …«
Der hatte ihr gerade noch gefehlt.
Er grinste. »Kein Jogging heute?«
»Nein, ich dachte, etwas Abwechslung könne nicht schaden, und da am Schwarzen Brett dieser Aushang war, dass Mitarbeiter der Mordkommission hier nur die Hälfte zahlen …« – »Dann sehen wir uns hier wohl öfter in nächster Zeit«, meinte er und warf einen flüchtigen Blick auf ihre hautenge Leggings.
Lena brachte ein höfliches Lächeln zustande. Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen.
»Darf ich Sie zu einer Partie Squash herausfordern?«, fragte Drescher.
»Wenn Sie kein Problem damit haben, zu verlieren?«
»Wieso? Ich gewinne ja!«, gab er scherzhaft zurück und reichte ihr einen Schläger aus seiner Tasche. »Los geht’s!«
Sie gingen hinüber zur
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