Opferzahl: Kriminalroman
dass die Sondereinheit der Reichskriminalpolizei für Gewaltverbrechen von internationaler Art sich dieses Themas hauptverantwortlich annimmt.«
Zahlreiche giftige Blicke wandten sich augenblicklich in Richtung der kleinen Ecke des Saals, in dem die A-Gruppe saß.
»Klingt super«, sagte Kerstin Holm mit genau dem richtigen forschen Tonfall, der verbissenen Reaktionären im Polizeikorps regelmäßig die Galle überlaufen ließ.
»Im Übrigen«, fuhr Hultin fort, »möchte ich noch einmal betonen, dass dies ein Fall ist, an dem wir gemeinsam arbeiten, die Grenzen zwischen den Verantwortlichkeiten sind daher immer Grauzonen. Alle Ergebnisse werden den allgemein bekannten Vorschriften entsprechend direkt der Führungsgruppe gemeldet, das heißt mir. Anschließend werden sie ebenso prompt in das interne Netzwerk übernommen und sämtlichen Ermittlungsgruppen zugänglich gemacht. Ausnahmslos. Ich will auf keinen Fall Fraktionsbildung und Geheimnistuerei erleben. Ich selbst verstehe mich eher als Vermittlungszentrale denn als Chef. Meine Arbeit besteht in erster Linie darin, dafür zu sorgen, dass alle Informationen sämtlichen mit dem Fall befassten Kollegen zugänglich gemacht werden. Das betrifft also im Großen und Ganzen alle Polizisten in der Stadt. Ja, im ganzen Land. Offenheit ist das A und O, wenn dieser Fall gelöst werden soll. Damit meine ich nicht Offenheit gegenüber den Medien, außer sie ist durch mich, und ausschließlich durch mich, sanktioniert. Jedes Leck wird ebenso minutiös untersucht wie die Sprengung der U-Bahn selbst. Konzentriert euch auf eure Aufgabe und haltet dicht.«
Dann geschah das, worauf die ganze A-Gruppe geschlossen gewartet hatte. Jan-Olov Hultin raffte die Papiere, die vor ihm lagen, zusammen und klopfte sie mit der Kante auf der Tischplatte zu einem Stapel. Es war eine magische Geste, die sie in eine andere Zeit, in einen anderen Raum zurückversetzte. Sie wussten: Jetzt war der Moment für ein paar ernste Worte. Und sie kamen:
»Dies kann unsere Chance sein, ein wenig von unserem verloren gegangenen guten Ruf zurückzuerobern, meine Damen und Herren. Wir müssen zeigen, dass wir Profis sind und keine Clowns. Lasst uns diese Angelegenheit jetzt richtig hübsch erledigen. Zeigen wir, dass die schwedische Polizei eine demokratische, professionelle und intelligente Instanz ist. So be it. Schreiten wir ans Werk, meine Freunde.«
Es kam zu einem kurzzeitigen Chaos auf dem Podium, als alle Honoratioren, die je einzeln ein Statement vorbereitet hatten, die Gelegenheit in Rauch aufgehen sahen. Ungelesene Papiere mit unleserlichen Stichworten raschelten im Takt. Jan-Olov Hultin, welchen Titel er auch tragen und wie vorübergehend dieser auch sein mochte, hatte gezeigt, wo der Hammer hing. Und er war verschwunden, bevor die Übrigen da vorn sich auch nur hatten erheben können.
Offensichtlich war dies trotz allem das, wonach er sich gesehnt hatte. Keine geschraubten politischen Rücksichten mehr nehmen zu müssen, keine mystischen Vorgesetzten ohne polizeiliche Kenntnisse, keine idiotische doppelte Buchführung mehr. Nur geradlinige, offene, akribische Polizeiarbeit.
Zumindest in der Theorie.
Welche unergründlichen Wendungen dieser Fall auch nehmen mag, dachte Kerstin Holm, so hat er zumindest gut angefangen.
Sie wandte sich ihrer kleinen Schafherde zu (so dachte sie insgeheim zuweilen von ihnen) und sagte, über den imponierenden Trommelwirbel von Klappstuhlsitzen, die gegen ihre Rückenlehnen prallten, hinweg:
»Wir treffen uns sofort zu einer Besprechung in der Kampfleitzentrale.«
Es wurde genickt - ein wenig zerstreut, fand sie. Entweder konzentriert oder träge, sie konnte es nicht eindeutig sagen.
Es würde sich bald zeigen.
*
Er saß in der Kampfleitzentrale, als sie dort ankamen. Sie hätte es ahnen müssen.
Einige Worte über die Kampfleitzentrale.
Der Terminus war irgendwo zwischen Ironie und Ernst angesiedelt. Formal gesehen war es ja ein militärischer Ausdruck, wie ihn die Polizei sonst nicht verwendet. Leitzentralen gibt es, aber eine Kampfleitzentrale gab es nicht einmal während der Ereignisse in Göteborg im Juni 2001. Aber als die A-Gruppe gebildet wurde, ein ganzes Jahr vor ihrer formalen Etablierung als Sondereinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichspolizeibehörde, wurde diese kleine Bude, dieser winzige, von Gott oder zumindest der Polizeiführung vergessene Versammlungsraum zum festen Punkt in
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