Opferzahl: Kriminalroman
in New York gekauft hat. Ein bisschen wahrscheinlicher.«
»Ja, vielleicht«, sagte Jon Anderson.
Und dann begab sich jeder der beiden Herren in seinen Cyberspace.
*
Kerstin Holm hätte ohne Weiteres eine ganz normale Chefin sein können. Sie hätte sich in ihrem Büro zur Ruhe setzen und seelenruhig die Spinne im Netz abgeben können. Doch nach ihrer halbjährigen Suspendierung vom Dienst verlangte es sie nach wirklich knackiger Polizeiarbeit. Gern im Feld. Gern dreckig. Gern mit gezogener Waffe. Aber das würde sie nie zugeben.
Es war in vielfacher Hinsicht ein schönes halbes Jahr gewesen. Sie hatte sich wieder auf sich selbst besonnen, hatte Zeit für sich selbst, pflegte ihre Seele, las Bücher, hörte Musik, ging wieder in ihren Kirchenchor in der Jakobskirche, nahm das Joggen wieder auf, wurde beinahe religiös, gelangte aber zu keiner bahnbrechenden Offenbarung. Und schaffte sich eine neue Wohnung an.
Endlich.
Die Zweizimmerwohnung in der Regeringsgata war in den letzten Jahren ein wenig zu eng geworden. Ihr Sohn Anders war inzwischen elf Jahre alt und ein sozialerer Junge, als sie sich je hätte träumen lassen. Es wimmelte ständig von Kindern in ihrer Wohnung mitten in der Innenstadt. Sie wollte eine größere und heraus aus dem Zentrum. Aber innerhalb der alten Stadtbegrenzungen wollte sie bleiben. Im westlichen Teil von Södermalm, oben bei Längholmen, fand sie genau, was sie suchte. Die Straße hieß Heleneborgsgata, und dort entdeckte sie eine Dreizimmerwohnung mit Spielgelände und Joggingpiste unmittelbar vor der Haustür. Perfekt für sie beide. Und sie gab ein Gebot ab.
Das Bieten für Wohnungen war noch vor einem Jahrzehnt ein unbekanntes Phänomen gewesen. Inzwischen waren alle Stockholmer, die jemals mit der Welt des Wohnrechts zu tun gehabt hatten, mit der Prozedur des Bietens gut vertraut. Es ist ein Albtraum. Man geht zu einer Wohnungsbesichtigung, sieht sich eine Wohnung an, erklärt sein Interesse und wird gezwungen, ein Gebot abzugeben. Es ist Stress pur. Mancher Stockholmer hat in Panik eine unbedacht hohe Zahl hingestottert, wenn ein hartnäckiger Makler auf dem Handy anruft und sagt, dass das Gebot um fünfzigtausend erhöht worden ist, und ich brauche die Antwort jetzt, sonst ist die Chance dahin, denn die Verkäufer wollen den Vertrag bis fünf Uhr unterzeichnet haben, und wenn Sie Ihr Gebot jetzt drastisch aufstocken, schaffen Sie es gerade noch, sich ins Taxi zu werfen und zur Vertragsunterzeichnung in mein Büro zu kommen. Zitternd kann der Stockholmer noch den Hauch des Gedankens »vier Millionen Kronen« an der Innenseite der Schädeldecke ahnen, bevor er ein piepsiges »Ja« herausbringt und hofft, dass der zugesagte Kredit sich wirklich so weit erstreckt. Wenn er dann, den Vertrag vor sich ausgebreitet, dasitzt und sich selbst sieht, wie er mit zitternder Hand seine Unterschrift auf das Papier setzt, fragt er sich, ob jener andere Bieter, der den Preis um eine halbe Million hochgetrieben hat, wirklich existiert hat.
Ungefähr so erging es jedenfalls Kerstin Holm.
Sie saß im Büro des höchstens achtundzwanzigjährigen Maklers, der ohne zu zögern Leben und Tod in seinen feingliedrigen Händen abwog. Er hatte sein Notizbuch aufgeschlagen und schrieb sich die Nummer ihres Zweithandys auf, als jemand ihn von draußen rief. Er stürzte mit unverminderter Energie hinaus in den Korridor. Die routinierte Kommissarin drehte sofort sein Notizbuch um. Zwischen einigen eigentümlichen Teufelszeichnungen entdeckte sie die Spuren einer in Gang befindlichen Gebotsaktion. Sie erkannte ihre eigenen Gebote, inklusive der letzten schweren Selbstüberwindung, die ihr den Sieg gebrachte hatte, und daneben sorgfältig notiert »K. H.«. Als sie ihre Reihe zurückverfolgte, stand beim ersten Mal »Kjerstin Holmh«. Das j in Kerstin musste wohl einer allgemeinen Dyslexie zugeschrieben werden, aber sie sollte sich lange über das abschließende h wundern. Woher kam es? Das war indessen nicht die hauptsächliche Quelle ihrer Verblüffung. Es war der zweite Bieter mit der Bezeichnung »P. H.«. Sie verfolgte die Reihe zurück und landete bei - »Paul Hjelm«.
Sie starrte mit offenem Mund das Notizbuch an und konnte es gerade noch über den Tisch zurückschieben, als der Maklerjüngling mit, wie üblich, elastischen Schritten zurückkehrte und mit einer als Milde maskierten Strenge sagte:
»Die Unterschrift ganz unten bitte.«
Sie hatte ihren alten Kollegen nicht mit
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