Opferzeit: Thriller (German Edition)
Abendessen, bevor man uns in unsere Zellen sperrt, einen Besuch abstatten wird. Bei dem Gedanken daran fängt mein Herz an zu rasen und mein Magen zu knurren, allerdings nicht vor Hunger – sondern weil er sich gleich seines Inhalts entledigen wird. »Erst recht, wenn du mehr als nur einen Roman schreiben willst.«
Er nickt. »Ja, das stimmt. Absolut«, sagt er, fast so, als hätte er daran gar nicht gedacht. »Unter uns«, sagt er, ohne seine Stimme zu senken, darum ist es unter uns und dem Typen zu meiner Linken und zu seiner Rechten und den Jungs, die uns gegenübersitzen, »ich habe schon ein paar Versuche unternommen, weißt du? Bevor man mich verhaftet hat. Ich saß dann immer mit einem Computer am Küchentisch und habe versucht, mir was auszudenken, aber es kam nichts. Ich dachte, das wäre wie das Schreiben von Lyrics, weißt du? Aber das ist es nicht.«
»Du musst über das schreiben, was du kennst«, sage ich, denn das erzählen Schriftsteller ständig.
»Ja, das hab ich schon mal gelesen«, sagt er. »Das leuchtet ein. Ich muss über das schreiben, was ich kenne«, sagt er und verstummt.
»Allerdings glaube ich nicht, dass die Leute Bücher lesen wollen, in denen es um Kindesmissbrauch geht.«
Er blickt mich finster an und versucht dahinterzukommen, ob ich einen Witz gemacht habe, ob ich ihn verarsche, oder ob ich ihm helfen will, und er kommt zu dem richtigen Schluss. »Du kannst echt ein Arschloch sein, Joe«, sagt er, dann nimmt er sein Tablett und geht.
Nach dem Abendessen frage ich einen der Wärter, weder Adam noch Glen, ob ich mal telefonieren kann. Es ist ein großer Bursche, der aus genauso viel Muskeln wie Fett besteht und der aussieht, als könnte er einem mit einem einzigen Schlag den Schädel vom Körper prügeln, um dann anschließend vor Anstrengung umzukippen.
»Du bist hier nicht im Urlaub«, sagt der Wärter. Es ist einer aus der Nachtschicht. Er fängt um sechs an und bringt uns zum Essen oder in den Duschraum und zurück, und dann sitzt er sieben Stunden lang in einer Nische und schaut fern, während wir alle in unsere Zellen gesperrt sind. Ich glaube, er heißt so ähnlich wie Satan – Stan oder Simon.
»Ich habe das Recht zu telefonieren«, sage ich. »Es ist wichtig, mein Prozess beginnt in zwei Tagen.«
»Hier drinnen hast du keinerlei Rechte«, sagt er, aber wenigstens lacht er nicht.
»Hundert Dollar«, sage ich zu ihm.
Er kneift die Augen zusammen, während er zu mir herunterschaut, denn er ist ein paar Zentimeter größer. »Was?«
Ich schätze, ich habe etwas Geld zum Ausgeben. »Du kriegst von mir hundert Dollar.«
»Dann her damit.«
»Ich habe das Geld nicht hier, aber mein Anwalt kann es morgen mitbringen.«
»Zweihundert«, sagt er.
»Abgemacht«, sage ich.
»Wenn die Kohle morgen nicht da ist, dann wird es hier noch ungemütlicher für dich«, sagt er. »Also verarsch mich nicht.«
Mir fällt ein, was für einen schlimmen Tag ich heute hatte, und das Traurige daran ist, dass er recht hat – es hätte noch schlimmer kommen können. Wie Santa Kenny gesagt hat – es kommt darauf an, was man den anderen zutraut. Der Wärter bringt mich zum Telefon. Er lehnt sich an derselben Stelle gegen die Wand wie vorhin Adam, allerdings verzichtet er auf dessen Drohungen.
»Zwei Anrufe«, sage ich.
»Aber mach schnell.«
Zunächst telefoniere ich mit meinem Anwalt. Es ist schon etwas später, und es ist Samstag, aber ich habe seine Handynummer. Nach ein paarmal klingeln hebt er ab. Im Hintergrund kann ich Stimmen und Musik hören.
»Hier ist Joe«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt er, und ich schätze, dass die Nummer des Gefängnistelefons im Display angezeigt wird. Ich schätze, ich habe Glück, dass er überhaupt drangegangen ist. Vielleicht hat mich das Glück doch noch nicht verlassen – schließlich wurde ich heute Nachmittag nicht erschossen. Ab jetzt werde ich auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
»Und, geht der Deal über die Bühne?«
»Sie haben sich an Ihren Teil der Abmachung gehalten«, sagt er. »Also geht der Deal auch über die Bühne. Sobald die Leiche identifiziert wurde, wird das Geld auf das Konto Ihrer Mutter überwiesen. Ich habe inzwischen ihre Bankverbindung. Ihre Mutter ist … tja, sie ist schon ein Fall für sich«, sagt er, und das trifft absolut zu, wird ihr aber nicht im Geringsten gerecht.
»Wie lange wird es dauern, bis sie die Leiche identifiziert haben?«, frage ich ihn.
»Jetzt heißt es abwarten«, sagt er. »Vor fünf
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