Opferzeit: Thriller (German Edition)
habe.
Vor allem muss ich die ganze Zeit an den blöden Test denken.
Ich hätte es sofort merken müssen. Ich habe überhaupt nicht kapiert, worum es dabei ging. Kann es sein, dass ich doch nicht so intelligent bin, genau wie Barlow meinte?
Santa Suit Kenny hört auf zu summen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was er tut. Small Dick – oder »Little D«, wie er hier genannt wird – unterhält sich jetzt mit seinem Zellennachbarn. Sie führen ein bescheuertes Gespräch, denn sie reden übers Wetter. Sie haben keine Ahnung, wie das Wetter ist, denn man kann hier nicht nach draußen schauen. Aber sie reden viel übers Wetter, die beiden. Eigentlich hätte ich gedacht, sie würden sich mehr über ihre gemeinsamen Vorlieben unterhalten – den Grund ihres Knastaufenthalts –, aber es hat sich herausgestellt, dass sie kaum darüber reden. Als würde die Erinnerung daran sie zu sehr erregen. Die beiden sind voll auf Adrenalin. Als müssten sie bei der Erwähnung ihrer Erlebnisse die Wände hochgehen.
Weiter oben öffnet sich eine Tür, und alle Häftlinge im Block verstummen. Am anderen Ende des Gangs ertönen Schritte und Stimmen. Ein paar Zellen von meiner entfernt halten die Schritte schließlich inne. Ich spähe durch den Schlitz in der Tür und bin mir sicher, dass die anderen das Gleiche tun. Dort draußen stehen drei Personen. Zwei von ihnen kenne ich.
»Meine Damen und Herren«, sagt einer der zwei Wärter, ein Typ namens Adam. »Ich bitte um einen herzlichen Applaus für einen unserer beliebtesten Zellengenossen«, sagt Adam. »Er ist nach fünfzehn Jahren Haft und sechs Wochen in Freiheit wieder zu uns zurückgekehrt, nachdem er vorher drei Wochen wegen Selbstmordgefahr unter Beobachtung stand. Ihr kennt ihn, und ihr liebt ihn, den unvergleichlichen Mr. Caleb Cole.«
Niemand applaudiert. Niemand gibt einen Ton von sich. Keiner von uns kennt ihn persönlich. Er ist uns egal. Caleb Cole hat nicht in unserem Zellenblock gesessen. Wir kennen ihn aus den Nachrichten, aber mal ehrlich, wen juckt’s?
»Ich bitte euch, meine Damen, so behandelt man doch keinen Freund. Caleb kommt zu euch, weil es für ihn bei den normalen Häftlingen keinen Platz mehr gibt. Er hat … welchen Begriff hören wir hier ständig? Genau – er hat Probleme . Na, wie sieht’s aus, Caleb, nur keine Hemmun gen, möchtest du deinen neuen Zimmergenossen nicht was sagen? Möchtest du ihnen nicht von deinen Problemen erzählen?«
Falls Caleb uns etwas mitzuteilen hat, behält er es für sich. Vor zwölf Monaten musste ich dieselbe Prozedur über mich ergehen lassen. Ich wurde von zwei Wärtern hierhergeführt, und sie stellten mich, wie sie es nannten, meiner neuen Familie vor. Ich kann mich noch an meine grenzenlose Angst erinnern, als ein paar Häftlinge applaudierten; einige pfiffen aufreizend, was, Gott sei Dank, ohne Folgen blieb, und als man mich bat, ein paar Worte zu sagen, reagierte ich genau wie Caleb. Inzwischen habe ich diese Prozedur ein paarmal erlebt, und bisher hat keiner der Neuen etwas gesagt. Als man mich damals hierherbrachte, wusste ich nicht, wie ich die Nacht überstehen sollte, geschweige denn die Monate bis zum Prozessbeginn. In Gedanken habe ich an die hundert Mal Selbstmord begangen, habe es mir immer wieder vorgestellt und mir das Ergebnis ausgemalt, und je des Mal wurde mir klar, dass mich niemand vermissen würde. Außer Melissa vielleicht.
Als die Wärter merken, dass sie auf Calebs Kosten keine Scherze mehr machen können, fahren sie fort, und weiter unten, außerhalb meines Blickfelds, wird eine Zellentür geöffnet. Dreißig Sekunden später ist sie wieder zu, und Caleb befindet sich dahinter, keine Frage. Caleb Cole ist ein Mörder. Er war wegen Mordes in Haft, wurde entlassen, und hat wieder getötet. Manche Menschen tragen das einfach in sich. Einige Leute sagen, ein Serienmörder könne nicht aus seiner Haut. Die Wärter haben gesagt, er habe wegen Selbstmordgefahr unter Beobachtung gestanden, und ich frage mich, was es damit auf sich hat. Was sie dort mit einem anstellen, damit man seinen Lebenswillen wiederfindet und ein wertvolles Glied im Knastsystem wird.
Die Wärter, die Caleb zu seiner Zelle gebracht haben, kommen jetzt zu mir, und meine Zellentür öffnet sich. Das heißt, dass sie mich irgendwo hinbringen werden, und ich schätze, dass irgendwo interessanter ist als hier. Die Wärter betreten meine Zelle.
Adam sieht aus, als würde er zwei Stunden am Tag im Fitnessstudio
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