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Opferzeit: Thriller (German Edition)

Opferzeit: Thriller (German Edition)

Titel: Opferzeit: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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ihn.
    »Sind Sie sich sicher?«, fragt sie.
    »Definitiv«, erwidere ich.
    »Hat er sich vielleicht an Sie herangemacht, und Sie wollten ihn zurückweisen und haben ihn dabei getötet?«
    »Nichts dergleichen ist passiert«, sage ich.
    »Das ist schade«, sagt sie. Wieder brauche ich ein paar Sekunden, um den Sinn ihrer Worte zu erfassen. Und kaum ist mir das gelungen, fährt sie schon fort. »Wenn dem nämlich so gewesen wäre, hätten wir das alles mit den Ereignissen um ihre Tante verbinden können. Dann hätten wir zeigen können, dass die ganze Geschichte damals begann und dass alles, was Ihnen seither zugestoßen ist, nur das Resultat davon ist. Doch die Menschen werden nicht glauben, dass Sie einfach so zwölf Jahre verstreichen ließen zwischen den Vorkommnissen mit Ihrer Tante und Ihrem ersten Mord.«
    Das Ganze wirkt auf mich wie ein Test, so als ob sie einen Köder auslegen und darauf warten würde, dass ich anbeiße und plötzlich doch noch damit herausrücke, dass ich ihn getötet habe.
    »Joe?«
    »Ja?«
    »Ich denke, ich habe alles, was ich brauche«, sagt sie.
    »Jetzt schon?«
    »Ja«, sagt sie und steht auf.
    »Und?«
    »Was, und?«, fragt sie.
    »Was werden Sie vor Gericht erzählen?«, frage ich.
    »Ich werde jetzt im Anschluss und für den Rest des Tages meine Notizen durchgehen, Joe, und dann rede ich mit Ihrem Anwalt.«
    »Also glauben Sie mir?«
    Sie klopft an die Tür und dreht sich dann zu mir um. »Wie gesagt, Joe, ich rede mit Ihrem Anwalt«, sagt sie, und kurz darauf ist sie verschwunden.
    Kapitel 47
    Es ist ein entspannter Sonntag. Früher hat er mit seiner Frau viele solche Sonntage verbracht. Bevor Angela auf die Welt kam und während Angela aufwuchs, und auch später, als Angela ausgezogen war, hatten sie die Tradition weiter fortgesetzt. Sie hatten es als Eltern immer als ihre Aufgabe be trachtet, Angela den Weg hinaus in die Welt zu ebnen, indem sie ihr viele Freiheiten ließen, doch im letzten Jahr quälte ihn der Gedanke, dass dies ein Fehler gewesen war. Wenn sie ihre Tochter länger in ihrer Nähe behalten hätten, wäre sie jetzt vielleicht noch am Leben. Wenn sie ihre Tochter ermutigt hätten, zu Hause zu bleiben. Wenn sie ein Schloss vor ihre Tür gehängt und sie beschützt hätten.
    Es war seine Aufgabe als Vater gewesen, sie auf das Leben vorzubereiten. Und auch seine Aufgabe, sie zu beschützen. Egal, wie man es betrachtet, letztendlich weiß Raphael, dass er seine Tochter im Stich gelassen hat. Er hat seine ganze Familie im Stich gelassen. Sicher, man konnte jede Menge Gegenargumente anführen, und er hatte sie alle gehört; aber wie seine Mutter immer gesagt hatte: Am Ende zählen nur Fakten. An gela war tot. Er hatte sie im Stich gelassen. Ende der Geschichte.
    Die letzten beiden Tage haben ihm gutgetan. Wie eine Art Therapie. Es kommt ihm so vor, als würde sein Vorhaben, Joe Middleton zu töten, eine Art Heilungsprozess einleiten. Obwohl er nicht davon ausgeht, dass er je wieder ein normales Leben führen wird – wie kann er das, nach allem, was dieser Verrückte seiner Tochter angetan hat –, aber vielleicht kommt er ja wieder ein wenig besser mit allem zurecht. Kann wieder zu leben beginnen. Vielleicht kann er sogar seine Ehe wieder kitten.
    Seit sie Angela verloren haben, waren die meisten Tage entspannte Sonntage, und obwohl es seit Donnerstagnacht wieder mit ihm aufwärtsgeht, fühlt er sich jetzt zurückgeworfen auf das, was zu seinem normalen Selbst geworden ist. Heute Morgen hat er sich ein paar Stunden in Angelas Zimmer aufgehalten und auf die Zeitungsartikel gestarrt, die dort an die Wand geheftet sind. Anschließend hat er einige Zeit damit verbracht, alte Fotoalben durchzublättern.
    Der entspannte Sonntag nimmt seinen Lauf. Er sitzt im Wohnzimmer, die Sonne ist längst untergegangen, und er schaut sich ein Video von Angelas einundzwanzigstem Geburtstag an. Im Jahr davor war sie von zu Hause ausgezogen, hatte sich zusammen mit zwei Freundinnen eine Wohnung in der Stadt genommen. Die Party fand hier in diesem Haus statt. Es fühlt sich an wie vor hundert Jahren. Auf dem Video sieht er jedenfalls hundert Jahre jünger aus. Damals war er glücklich. Er ist sich nicht sicher, was aus der Roten Wut geworden ist – vermutlich liegt sie irgendwo begraben, denkt er, unter Alkohol und Depressionen, um dann morgen zu erwachen für ihren großen Auftritt.
    Er weiß, warum er sich dieses Video heute anschaut. Er kennt die Gründe für seine Traurigkeit. Dies ist

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