Opferzeit: Thriller (German Edition)
…«
»Spielt jetzt keine Rolle«, sagt sie. »Im Moment zählt nur, dass irgendein Arschloch auf uns schießt.«
»Auf uns? Oder auf ihn?«, fragt er.
»Warum heben Sie nicht den Kopf und finden es selbst heraus?«
»Wenn es nur ein Schuss war, dann galt er vermutlich nicht uns«, sagt er, trotzdem hebt er lieber nicht den Kopf, sondern kniet sich hin und späht unter dem Wagen hindurch. Die Sanitäterin ist immer noch dabei, Joe zum Rettungswagen zu ziehen. Sie ist die Einzige, die sich da draußen ungeschützt bewegt. Er kann ihre Füße, ihre Beine und ihre Arme sehen, und auch den oberen Teil ihres Kopfes, weil sie sich herabbeugt, um Joe über den Boden schleifen zu können. Er hat keine Ahnung, warum zum Teufel sie ihr Leben für Joe riskiert, aber dann kommt er zu dem Schluss, dass sie vermutlich gar nicht weiß, wen sie da zu retten versucht. Oder vielleicht handelt sie einfach aus einem Reflex heraus. Es ist Teil ihrer Natur, Menschen zu retten. Wie auch immer, sie macht einen Riesenfehler.
»Die fängt sich garantiert eine Kugel ein«, sagt Schroder.
»Wer?«, fragt Kent. »Die Sanitäterin?«
»Ja.«
Kent hebt den Kopf und blickt durch die Fenster des Wagens. »Was zum Teufel macht die da?«
»Ich hole sie«, sagt Schroder.
»Einen Teufel werden Sie tun«, sagt Kent, packt ihn bei seiner Krawatte und zieht ihn wieder nach unten. »Sie machen sich nur zur Zielscheibe, wenn Sie jetzt da rausgehen. Ich über nehme das. Ich trage zumindest eine kugelsichere Weste.«
Sie beginnt sich aufzurichten. Aber genau in dem Moment rennt Jack quer über den Parkplatz. Er legt seinen Arm um die Sanitäterin, um sie in Deckung zu ziehen, aber sie lässt Joe nicht los, daher zerrt Jack nun alle beide in Richtung Rettungswagen.
»Wir müssen in dieses Gebäude«, sagt Schroder.
»Nein«, sagt Kent. »Sie bleiben hier. Verstärkung ist …« Der Rettungswagen fährt los. Die Sirenen heulen auf. »Die hat echt Mumm diese Sanitäterin«, sagt Kent ohne aufzublicken. Der Rettungswagen rast auf das Rolltor zu, das immer noch geschlossen ist, verlangsamt aber kein bisschen das Tempo.
Schroder hebt den Kopf. Er sieht die Rettungssanitäterin durch das Seitenfenster. Es sieht ihr Gesicht. Er sieht, wie der Rettungswagen auf das Tor zurast. Er sieht, dass die Leute auf der Straße vorhersehen, was gleich geschehen wird, und beiseitehechten.
»Ach du Scheiße«, sagt er.
»Was ist?«
Er steht auf, aber niemand schießt auf ihn. Denn das Feuer wurde eingestellt.
»Das war Melissa«, sagt er. »Die Fahrerin, das war Melissa. Los, kommen Sie«, sagt er und springt in seinen Wagen, »hinterher.«
Kapitel 63
Der Rettungswagen kracht durch das Tor, und der Aufprall jagt eine Schockwelle durch meinen Körper. Es waren ein paar höllische Tage mit der ganzen Kotzerei, der Scheißerei, den aufgeschlagenen Knien, und jetzt hat man mich auch noch angeschossen, und ich liege in einem Rettungswagen, der vermutlich umkippen oder in einen Lastwagen donnern wird.
Ich rolle gegen die linke Seitenwand, als Melissa rechts abbiegt. Es ist der zweitschlimmste Schmerz, den ich je in meinem Leben gespürt habe. Es ist, als würde jemand seine Faust in meinen Brustkasten rammen, mit seinen Fingern alles umklammern, was er darin findet, es herausreißen und dann den Rest meines Körpers in Brand stecken. Der Rettungswagen schlingert über die Straße. Alles mögliche Zeug fällt aus den Regalen. Ich liege blutend auf dem Boden, umgeben von all diesen hilfreichen Dingen, kann aber nichts davon benutzen. Zu meinen Füßen liegt eine tote Frau. Sie ist zur Hälfte von einem Tuch verdeckt, die sichtbare Hälfte steckt in derselben Uniform, wie Melissa sie trägt. Die tote Frau liegt auf einer weiteren toten Person – offenbar einem Mann, und dieser Mann ist größtenteils nackt. Der eine Arm und das eine Bein der Frau schlagen locker gegen den Boden.
Der Rettungswagen fährt jetzt geradeaus, und es gibt Aufprallgeräusche, als er gegen Leute rammt. Draußen ist Geschrei und Gebrüll zu hören, und es fühlt sich an, als wäre ich unversehens in einem Actionfilm gelandet. Melissa redet mit sich selbst, fordert die Leute auf, verflucht noch mal aus dem Weg zu gehen, Leute, die sie nicht hören können. Immer wieder muss sie ihnen ausweichen und auf die Bremse treten. Sie hat die Sirene eingeschaltet, trotzdem fahren wir nicht allzu schnell.
Ich versuche, mich aufzurichten, doch es gelingt mir nicht. Ich weiß, ich wurde angeschossen,
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