Opferzeit: Thriller (German Edition)
ihm das erzählt, und Schroder glaubt es auch, denn sie bläst immer noch kalte Luft in die Zimmer. Sobald Sommer ist, wird sie bestimmt warme Luft verströmen. Der Sender gehört zu einer der großen Anstalten und wurde ungefähr zur selben Zeit gegründet, als Joe Middleton ein Thema für die Nachrichten wurde. Bis dahin gab es in der Stadt nur einen lokalen Nachrichtensender, die großen Sender befanden sich alle oben in Auckland, doch dann wurde Christchurch plötzlich zur Hauptstadt des Verbrechens, und die Journalisten zog es hierher. Die Produzenten wollten nun hier Sendungen über wahre Verbrechen drehen. Schroder kannte mal jemanden, der hatte die Theorie, dass die Flüge nach Christchurch jedes Jahr länger dauern, weil die Stadt immer weiter Richtung Hölle rutscht – angesichts der aktuellen Temperaturen lässt sich darüber allerdings streiten.
Schroder betritt den Aufzug. Im Innern läuft Fahrstuhlmusik, irgendwas Klassisches. Er kann sich nicht vorstellen, dass das Stück irgendjemandem gefallen könnte – und ihm schon gar nicht. Aber vielleicht gefällt es ihm auch nur nicht, weil er nicht hier sein will. Eine weitere Person steigt zu ihm in den Aufzug und beide starren vor sich hin und geben sich große Mühe, nicht miteinander zu reden. Sein Magen knurrt und erinnert ihn daran, dass er das Frühstück hat ausfallen lassen, und dass er womöglich auch das Mittagessen ausfallen lassen wird. Im vierten Stock tritt er aus dem Aufzug in einen Flur und läuft vorbei an der Maske, der Cafeteria und mehreren Büros zu jenem von Jonas Jones. Das Studio, in dem die Sendung aufgenommen wird, befindet sich ein Stockwerk tiefer, und Schroder fragt sich, ob es Jones ein gewisses Gefühl der Befriedigung verschafft, über allem zu thronen.
Schroder klopft nicht an. Das ist wohl auch nicht nötig, wenn man einen Hellseher aufsucht, schätzt er. Er öffnet die Tür und tritt ein. Jones sitzt hinter seinem Schreibtisch, er hat seine Schuhe ausgezogen und putzt sie.
»Ah, schön, Sie wiederzusehen«, sagt er.
Schroder findet es gar nicht schön. Er hat seinen Job aus einer Reihe von Gründen verloren, und Jones ist einer davon. Schroder hatte bis zu diesem Jahr noch nie jemanden getötet, und die Albträume, die ihn verfolgen, weil sich das geändert hat, würden wahrscheinlich nicht schlimmer werden, wenn er Jones mit ein paar Kugeln vollpumpen würde.
»Ich habe mit ihm gesprochen«, sagt Schroder und nimmt auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. Er ist versucht, die Füße hochzulegen. An den Wänden des Büros hängen gerahmte Fotos von Jones mit anderen Prominenten, darunter eine Menge Schauspieler, einige Schriftsteller und ein paar lokale Größen. Fotos von ihm beim Signieren von Büchern, eins sogar für den Premierminister, was Schroder die Entscheidung, wen er wählen wird, erleichtert.
»Und?«, fragt Jones. »Oder wollen Sie mich noch weiter auf die Folter spannen?«
»Er will es sich überlegen.«
»Es sich überlegen? Kommen Sie, Carl, ich bin mir sicher, da wäre mehr drin gewesen. Haben Sie ihm die zwanzig Riesen angeboten?«
»Natürlich.«
»Wie viel wollte er?«
»Fünfzig.«
»Fünfzig sind in Ordnung«, erwidert er, und Schroder fällt ein, was Joe vorhin gesagt hat, über Sally, die eine Belohnung von fünfzigtausend Dollar kassiert hat. Es waren die Ermittlungen der Polizei, die letztes Jahr zum Erfolg geführt haben, und Sally hatte ihren Anteil daran. War ihr Anteil so groß, dass sie die Belohnung verdient hat? Nein. Er findet nicht. Aber er muss das Geld nicht aus seiner Tasche zahlen, und es hat ihn gefreut, dass sie das Geld tatsächlich bekam. Das war genauso wie alles andere in diesem Ermittlungsstadium eine PR-Maßnahme – und es wird nicht die letzte gewesen sein, denn wenn die Bevölkerung mitkriegt, dass so ein Betrag auch ausgezahlt wird, dann ist sie eher bereit, die Namen von Leuten zu nennen, die schlimme Dinge getan haben. Das ist alles Teil der »Ver brechen zahlt sich nicht aus, der Polizei zu helfen aber schon«-Kampagne.
»Ja, fünfzig sind in Ordnung«, erwidert Schroder.
Jones hält inne, um ihn ein paar Sekunden lang zu mustern, dann wendet er sich wieder seinen Schuhen zu. »Wir hatten hundert veranschlagt«, sagt er und putzt die Schuhe, obwohl sie bereits sauber wirken. »Können Sie sich das vorstellen?«, fragt er. »Können Sie sich vorstellen, wie das sein wird, wenn wir Detective Inspector Robert Calhoun finden?«
Schroder hat es sich
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