Opferzeit: Thriller (German Edition)
verspreche ich. Denn anders als beim Beispiel meines Kollegen mit den Steuern gibt es für die Todesstrafe gute Gründe. Niemand will Steuern zahlen, doch wir wissen alle, dass es nicht anders geht. Aber keiner will, dass ein Mörder frei herumläuft, und dagegen können wir etwas unternehmen. Wir werden nicht herumlavieren, indem wir die Möglichkeiten prüfen. Es ist an der Zeit, dass wir dem Verbrechen entschlossen entgegentreten. Wenn die Bevölkerung für die Todesstrafe stimmt, dann wird meine Regierung dies ganz oben auf die Tagesordnung setzen und sie bis zum Ende des Jahres wiedereinführen. Das verspreche ich«, sagt er, und mich fröstelt, während ich auf den Fernsehapparat starre. Dieser Mann will mich töten. Er liefert mir keinen Grund, meine Meinung über Menschen mit Glatzen zu ändern. »Trotzdem dürfen Sie nicht glauben, dass wir jeden Verbrecher, der vor Gericht landet, hinrichten werden. Sie wird nur in extremen Fällen Anwendung finden.«
»Fällen wie dem von Joe Middleton?«, fragt Jim.
Einige der Jungs in meiner Nähe johlen bei der Erwähnung meines Namens, und jemand schlägt mir auf die Schulter, nach dem Motto Weiter so, Joe! Aber wenn das so weitergeht, werden sie Joe hinrichten. Mich fröstelt noch mehr.
»Ja, ich denke schon«, sagt der Premierminister.
»Und was ist mit denjenigen, die schon vor Gericht standen?«
»Sie wurden bereits verurteilt«, sagt der Premierminister, »und wir können ihr Strafmaß nicht nachträglich ändern. Wofür wir allerdings sorgen können ist, dass Kriminelle in Zukunft härter bestraft werden.«
»Wie im Fall von Middleton«, sagt Jim, »der, da stimmen Sie mir sicher zu, die ganze Diskussion um die Todesstrafe wieder angeheizt hat und dessen Prozess nächste Woche beginnt. Er dürfte zwei Monate dauern, das heißt, er wird etwa zum Wahltermin zu Ende sein. Wird man das Urteil zurückhalten, bis das Gesetz verabschiedet ist?«
Der Premierminister grinst zaghaft. »Jim, Sie greifen vor, außerdem gehört das nicht zum Thema.« Dann hebt er warnend den Zeigefinger, wie ein Lehrer, der ein Kind tadelt. »Netter Versuch, aber ich werde mich nicht zu einer Angelegenheit äußern, über die die Gerichte entscheiden sollen. Ich denke, ich und mein Herausforderer, wir sind hier, um über Sachfragen zu diskutieren und nicht darüber, wie Joe Middletons Prozess geführt werden sollte.«
»Los, Joe«, brüllt jemand aus der anderen Ecke des Raums, und als ich aufschaue, sehe ich, wie einer der Raucher auf der Bank mir den gehobenen Daumen entgegenreckt. Ein paar der anderen fangen an zu klatschen. Caleb Cole starrt mich immer noch an, als wäre die Volksbefragung ein sinnloses Unterfangen, weil er mich sowieso töten wird.
Die Leute im Fernseher reden jetzt statt über mich über die Wirtschaft. Und nach wenigen Worten höre ich nicht mehr zu. Ob die Wirtschaft floriert oder nicht hat keinen Einfluss auf das Leben im Knast. Es ist ja nicht so, dass wir alle Insolvenz anmelden können und ausquartiert werden, wenn’s schlecht läuft, oder wir ein Sektfrühstück spendiert bekommen, wenn’s gut läuft.
Ich stehe auf und gehe zurück in meine Zelle. In fünfzehn Minuten bringt man uns sowieso wieder dahin. Ich lege mich auf meine Pritsche, starre an die Decke und frage mich, wie ich hier landen konnte – ich denke an das Unglück und die aus den Fugen geratene Welt, die mir das angetan haben. Ich denke an die Zeit vor gut einem Jahr in der wirklichen Welt, als alles noch in Ordnung war, als The Sally mir noch Sandwiches zur Arbeit brachte und ich abends meiner Mutter einen Besuch abstattete oder jemandem, an dem ich Gefallen gefunden hatte. Dann denke ich an jenen Samstagmorgen, als Sally vor meiner Wohnung aufkreuzte und sich auf mich warf, als ich versucht habe, mich zu er schießen, und dann frage ich mich – nicht zum ersten Mal –, ob sie das Richtige getan hat oder nicht.
Alle hassen mich.
Alle außer Melissa.
Ich nehme erneut die Bücher zur Hand und suche nach ihrer Botschaft.
Kapitel 18
Die Pistole befindet sich immer noch in dem Fettanzug. Im Moment ist Melissa unbewaffnet. Und ihre Schlüssel stecken im Zündschloss. Sie könnte sie sich schnappen. Und damit mehrmals auf Raphael einstechen. Blutig, aber wirksam, allerdings auch laut, denn er würde aufschreien, und die Leute würden es sehen, und am Ende würde sie nicht mehr, wie geplant, mit einem Komplizen davonfahren, sondern auf der Rückbank eines Polizeiwagens. Falls ihr keine
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