Opferzeit: Thriller (German Edition)
Irgendwann in den letzten Jahren wurden diesen Menschen schlechte Nachrichten überbracht. Dieses Land ist ein Land für schlechte Nachrichten, und diese Stadt eine Stadt für größtmögliche Katastrophen.
»Vor zehn Minuten«, sagt Raphael und schaut sie wieder an. »Ist was passiert? Mit meiner Frau?«
Schroder schüttelt den Kopf. »Nein, nein, so eine Art Besuch ist das hier nicht«, sagt Schroder.
Raphael atmet erleichtert aus. Gott sei Dank. Erneut wirft er einen Blick ins Innere des Saals. Hoffentlich brechen die anderen bald auf. Hoffentlich ist er die beiden hier schnell wieder los. Er will zurück zu Stella. Stella mit ihrem falschen Baby und ihrem Plan, Joe Middleton zu töten. Jetzt mal ehrlich, hat es einen Tag gegeben, an dem er nicht genauso oft daran gedacht hat, Joe Middleton zu ermorden wie daran, sich selbst umzubringen? »Ist schon etwas her, dass Sie hier gewesen sind, Carl.«
»Ich weiß. Tut mir leid, ich war beschäftigt«, sagt Schroder.
Raphael bezweifelt, dass das der Grund ist. Anfangs dachten er und Schroder, es könne eine gute Sache sein, einen Polizeibeamten in der Gruppe zu haben, doch es stellte sich als Irrtum heraus – es stellte sich heraus, dass die Gruppe mit dem Polizisten jemanden hatte, dem sie die Schuld geben konnte.
»Sie sollten wieder vorbeikommen«, sagt Raphael. »Das war hilfreich. Sie haben den Leuten hier das Gefühl gegeben, eine Stimme zu haben. Aber warum sind Sie hier? Geht es um Joe Middleton? Um seinen Prozess?«
»In gewisser Weise ja«, sagt Schroder und tritt näher an den Türrahmen, doch er steht immer noch im Regen. Und Raphael macht ihm nicht Platz. Er will dieses Gespräch draußen führen. Will es kurz halten.
»War Tristan Walker in Ihrer Gruppe?«, fragt Kent.
»Tristan Walker?«, fragt er zurück. »Um ehrlich zu sein«, sagt er, »ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihnen wirklich erzählen sollte, wer zu den Treffen kommt. Ich meine, diese Leute haben ein Recht auf Privatsphäre«, sagt er, und sobald er die Worte ausgesprochen hat, weiß er, dass sie keinen Sinn ergeben – noch vor einer halben Minute hat er Schroder gebeten, wieder zu den Treffen zu kommen.
»Bitte, Raphael«, sagt Schroder, »machen Sie es uns nicht so schwer. Wir wären nicht hier, wenn es nicht wichtig wäre.«
Raphael nickt. »Warum? Hat er etwas angestellt?«
»Ist er zu den Treffen gekommen?«, fragt Kent und lächelt ihn an, und für einen kurzen Moment will Raphael ihr alles erzählen, von seiner geheimen Fantasie, sich in Plastikfolie zu wickeln, haufenweise Pillen einzuwerfen und sich unter dem Haus zu verstecken, sodass man ihn nicht findet und nie erfahren wird, was passiert ist, und er einfach aus diesem Leben und aus dieser Welt verschwindet. Er vermutet, dass eine Menge Männer bei dem Lächeln weich werden würden, und an einem anderen Abend wäre er das auch. Aber nicht an diesem. Nicht während Stella auf ihn wartet, nicht während er daran denkt, Joe Middleton zu töten.
»Ich habe ihn ein paarmal kontaktiert, aber er hat jedes Mal abgelehnt, und dann habe ich es schließlich aufgegeben.«
»Warum haben Sie es aufgegeben?«, fragt Schroder.
Raphael zuckt mit den Schultern. »Na ja, er war nicht gerade begeistert, dass ich mich bei ihm gemeldet habe«, sagt er. »Und dann ist mir ein Gerücht zu Ohren gekommen, und mir wurde klar, dass ich jemanden wie ihn nicht in der Gruppe haben will.«
»Was für ein Gerücht?«, fragt Kent.
»Ich habe gehört, er habe seine Frau geschlagen«, sagt Raphael und reibt sich die Hände, damit sie warm bleiben. Er hat das von einem anderen Teilnehmer erfahren, der es von einem Cousin oder einem Nachbarn oder etwas in der Art gehört hat. »Stimmt das?«
»Er wurde nie angeklagt«, sagt Schroder und reibt sich ebenfalls die Hände.
»Das heißt nicht, dass es nicht stimmt. Warum fragen Sie nach ihm? Hat er wieder jemanden verprügelt?«
»Er wurde heute Nachmittag ermordet«, sagt Kent und vergräbt ihre Hände in den Taschen.
»Oh«, sagt Raphael und tritt einen kleinen Schritt zurück. »Oh«, wiederholt er, und er weiß nicht, was er sonst noch sagen soll. Er kann ja nicht sagen Klasse, er hat es bestimmt verdient , denn er weiß nicht mit Sicherheit, ob er seine Frau geschlagen hat, und selbst wenn, verdient man dafür die Todesstrafe? Schließlich fällt ihm ein, was die angemessene Reaktion ist. »Scheiße.«
»Walker sollte im Middleton-Prozess als Zeuge auftreten«, sagt Schroder. »So wie Sie
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