Opferzeit: Thriller (German Edition)
zugewandt Sie hat bereits gezeigt, dass die einzige Person, die ihr außer ihr selbst etwas bedeutet, Walt ist. »Ich verstehe nur nicht, warum sie sich jetzt verlobt hat, ausgerechnet jetzt, und wenn sie sich jetzt verloben, warum heiraten sie dann nächste Woche? Warum warten sie nicht erst ein paar Jahre ab?«
»Wollen Sie, dass sie ein Leben in der Warteschleife führen?«, fragt sie, und sie tut das auf eine Weise, dass ich nicht weiß, ob sie mich beurteilt oder nicht.
»In der Warteschleife? Ja, ich möchte, dass sie noch etwas darüber nachdenken. Ich meine, was kann das schon schaden? Wenigstens zu warten, bis der Prozess vorbei ist.«
»Vielleicht glauben die beiden, dass Sie nie wieder hier rauskommen werden.«
Ich schüttle den Kopf. Ich glaube nicht, dass jemand das wirklich denkt. »Sie irren sich.«
»Weil Sie niemanden getötet haben?«
Das ist eine wichtige Frage, und sie hat sie auf der Fahrt hier raus bestimmt ein paarmal aufgesagt.
»Ich weiß, dass ich diese Frauen getötet habe«, sage ich. »Das erzählen mir alle ständig. Erst konnte ich es kaum glauben, aber wenn einem unzählige Leute erzählen, die Welt würde untergehen, dann wird sie auch untergehen«, sage ich. Dann mache ich ein trauriges Gesicht. Mein Joe- ist-traurig-Gesicht. Vielfach erprobt und perfektioniert. »Ich schätze, wenn das stimmt, dann habe ich es nicht verdient, dass man mich hier rauslässt. Ich schätze, dann …«, sage ich und mache eine kurze theatralische Pause, warte einen Moment ab und noch einen, »ich schätze, dann habe ich den Tod verdient. Denn das werden sie…«, Pause, eins und zwei, »das werden sie tun: Sie werden mich töten, wissen Sie. Sie werden den Gesetzesentwurf, von dem im Fernsehen ständig die Rede ist, verabschieden, und ich werde ganz oben auf der Hinrichtungsliste stehen.«
Sie antwortet nicht. Nichts von dem, was ich gesagt habe, meine ich ernst, und ich weiß nicht, ob sie es mir abkauft oder nicht. Stille breitet sich aus, und ich habe das Bedürfnis, sie mit etwas zu füllen, das mich geisteskrank erscheinen lässt, allerdings nicht zu geisteskrank.
»Ich meine, das, was ich angeblich getan habe – das bin nicht ich. Diese Person bin ich nicht. Fragen Sie irgendjemanden. Fragen Sie meine Mom oder die Cops, mit denen ich früher zusammengearbeitet habe«, sage ich, und durch meinen Kopf jagt eine Abfolge von Szenen – mit Frauen, früheren Opfern und mit Eiern, die in Münder gesteckt werden, und ich höre das Stöhnen der Sterbenden. Ich rutsche ein wenig auf meinem Stuhl herum, und ich bin froh, dass der Tisch meine wachsende Erektion verdeckt. Es ist einer jener seltenen Momente, in denen ich froh bin, dass etwas zwischen meiner Erektion und einer Frau wie Ali ist.
»Sie erinnern sich an nichts davon?«
»Ich weiß, es klingt wie ein Klischee. Ich weiß, Sie haben wahrscheinlich erwartet, so etwas zu hören, und die Tatsache, dass Sie es hören, ist ein Beweis dafür, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe. Schlechte Menschen erinnern sich immer an das, was sie getan haben. Darum tun sie es, um sich daran zu erinnern. Glaube ich. Aber ich will nichts weiter, als mich bessern«, sage ich, »und wenn ich getan habe, was behauptet wird, dann möchte ich dazu gebracht werden, dass ich es nie wieder tue. Vielleicht ist das Zeitverschwendung. Vielleicht sollte man mich einfach hierbehalten und den Schlüssel wegschließen.«
»Den Schlüssel wegwerfen.«
»Hä?«
»Es heißt, den Schlüssel wegwerfen .«
»Welchen Schlüssel?«
Amanda verschränkt erneut ihre Finger. Mit den beiden Zeigefingern berührt sie ihre Lippen. »Nicht viele Leute würden sagen, was Sie gerade gesagt haben. Dass Sie es verdient hätten, weggesperrt zu werden. Das klingt sehr ehrlich.«
»Das ist es.«
»Das Problem ist nur, Joe, dass das alles auch sehr manipulativ klingt, und für genau das hält Sie der Psychiater der Staatsanwaltschaft.«
Ich sage nichts. Denn ich weiß, dass sie kurz davor ist, eine wichtige Entscheidung zu treffen. Ich weiß, dass ich den Bogen jetzt leicht überspannen kann. Am besten halte ich den Mund. Am besten vertraue ich darauf, dass ich tolle Überzeugungsarbeit geleistet habe.
»Eine der beiden Möglichkeiten trifft zu«, sagt sie, »ich weiß nur nicht, welche.«
Ich habe keine Ahnung, was die richtige Reaktion darauf ist, weder verbal noch gefühlsmäßig. Ich habe keine Ahnung, was ich als Nächstes vortäuschen soll. Soll ich mich bei ihr bedanken,
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