Opferzeit: Thriller (German Edition)
obwohl ich Jahre später anfing, an Leute wie Santa Kenny zu glauben. Damals war meine Mutter noch eine andere Person. Mein Vater ebenfalls. Ich bin mir nicht sicher, was mein Vater wirklich war. Selbst heute kann ich nicht sagen, auf welche Weise er anders war. Was auch immer er war, ich glaube, dass meine Mutter es ebenfalls wusste. Das war ein Problem zwischen ihnen beiden, und wenn es Probleme gab, hing Dad mit William ab; oder Onkel Bill, wie wir ihn immer nannten. Er war eigentlich nicht mein Onkel, sondern Dads bester Freund. Aber ein paar Jahre nach diesem Weihnachten hörte Onkel Billy auf vorbeizukommen, weil er und mein Dad und meine Mom sich wegen irgendwas verkracht hatten. Ich glaube inzwischen, dass das eigentliche Problem zwischen Mom und Dad Onkel Billy war.
Ich schenkte meiner Mutter ein Kätzchen zu Weihnachten. Ein schwarz-weißes, sieben Wochen altes Kätzchen, ich hatte es von einem Schulfreund, dessen Katze geworfen hatte. Ich habe es gegen eine Zeitschrift getauscht. Der Junge erzählte seinen Eltern nichts davon, und ich erzählte meinem Dad nichts davon, und hätten wir das getan, wäre alles ganz anders gekommen. Moms Gesichtsausdruck beim Anblick des Kätzchens hat sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Ihr Weihnachtsblick. Sie zieht dann ihre Lippen wie ein Hai zu einem ungestümen höhnischen Grinsen nach hinten. Und sie reißt die Augen so weit auf, dass es scheint, als würden sie gleich rausfallen. Wenn sie diesen Gesichtsausdruck bekommt, hat sie gerade ihre schlimmsten Albträume auf einmal gesehen und festgestellt, dass alle von ihnen wahr werden. Meine Mutter mochte das Kätzchen nicht. Erst dachte ich, sie sei böse und kaltherzig, denn jeder liebt Kätzchen. Jeder.
Wie sich herausstellte, hatte meine Mutter weniger etwas gegen Kätzchen allgemein. Sondern gegen tote Kätzchen. Sie mochte es nicht, wenn sie fünf Tage lang in einem mit Geschenkpapier umwickelten Pappkarton mit Schleife eingeschlossen waren. Im Alter von acht Jahren konnte ich keine Gedanken lesen. Und nach all den Jahren kann ich es immer noch nicht.
All das erzähle ich Ali, und Ali macht sich Notizen. Der Gefängnisstuhl ist unbequem, und ich bin mit Handschellen daran festgekettet. Vielleicht traut Ali sich nur deshalb ganz allein zu mir. Entweder misstraut sie mir, oder sie weiß ganz genau, dass die letzten zwölf Monate eine einsame Zeit für mich waren und dass ich, wenn man sie in zehn Minuten vom Boden kratzt, den Wärtern erzählen würde, ich könne mich mal wieder an nichts erinnern.
»Wussten Sie, dass die Katze sterben würde?«
»Ich habe nie darüber nachgedacht«, sage ich, und das stimmt. Hab ich nicht. Ich dachte nur, dass ich meiner Mutter damit eine Freude mache. Aber wie sich herausstellte, war das ein Irrtum. Wie sich herausstellte, habe ich ihr nie eine Freude gemacht. Außer als ich verhaftet wurde. Sie und Walt scheinen jetzt ein ruhiges Leben zu führen.
»Sie haben nicht nach der Katze gesehen? Oder sich gefragt, ob sie Futter braucht?«
»Sie hatte einen Namen«, sage ich, und es ist raus, bevor ich darüber nachdenken kann. »Sie hieß John.«
»Sie haben die Katze John genannt?«
»Sie war tot wie John, mein Großvater, der in demselben Jahr gestorben war.«
»Sie haben der Katze also einen Namen gegeben, nachdem sie gestorben war? Den Namen ihres Großvaters?«
»Wer würde einer Katze keinen Namen geben?«, frage ich.
Sie kritzelt erneut etwas auf ihren Block. »Wie haben Sie sich gefühlt, als ihre Mutter das Paket öffnete und Sie sahen, dass die Katze tot war?«
»Weiß nicht. Traurig, vermute ich.«
»Vermuten Sie?«
»Wäre nicht jeder traurig gewesen?«
»Traurig oder wütend. Aber das vermuten Sie nur, richtig, Joe? Sie wissen nicht, was Sie gefühlt haben.«
Ich zucke mit den Achseln, als wäre es egal. Vielleicht ist es das nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, als wollte sie mir eine Falle stellen, aber ich weiß nicht, auf welche Weise. Versucht diese Frau, mir zu helfen? Einen Moment später weiß ich die Antwort. Es geht hier nicht um mich. Sondern um sie. Es geht um ihre Karriere und um den nächsten Schritt auf der Karriereleiter, den sie machen wird, sobald das hier für sie vorbei ist. Vielleicht wird sie eine wissenschaftliche Arbeit über mich schreiben.
»Joe? Worüber denken Sie nach?«
»Die Katze.«
»Sagen Sie mir ganz ehrlich, waren Sie traurig?«
»Natürlich«, sage ich.
»Weil die Katze gestorben ist? Oder
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