Ophran 3 Die entflohene Braut
finster drein. „Das bezweifle ich. “
„Du kannst nicht erwarten, dass du einfach bei Amelia hereinspazieren und sie mitnehmen kannst. Jack“, sagte Simon und biss genüsslich in einen Ingwerkeks. „Selbst wenn sie mit dir gehen will, werden ihre Eltern gewiss Schwierigkeiten machen. “
„Denk daran, was auf dem Ball der Wilkinsons geschehen ist“, meinte Annabelle.
„Wenn die Angelegenheit brenzlig wird, wirst du unsere Hilfe brauchen“, fügte Jamie hinzu.
Grace nickte zustimmend. „Je mehr Ablenkung wir schaffen können, desto besser. “
Sie haben Recht, erkannte Jack, gerührt vom Wunsch seiner Familie, ihm zu helfen.
„Nun gut“, gab er schließlich nach. „Doch ihr tut genau das, was ich sage. Ist das klar? “
Die kleine Bande ehemaliger Diebe nickte feierlich.
14. KAPITEL
Amelia zog den schweren Samtvorhang einen Spaltbreit auf und spähte auf die Straße hinunter, wo sich eine angetrunkene, grölende Menschenmenge versammelt hatte.
Seit die Nachricht von ihrer Rückkehr sich vor zwei Tagen wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet hatte, war der Strom der Schaulustigen vor ihrem Fenster nicht abgerissen. Zuerst waren es vor allem Reporter, Fotografen und neugierige Müßiggänger gewesen, die nichts Besseres zu tun hatten, als den ganzen Tag vor ihrem Haus herumzulungern in der Hoffnung, einen Blick auf die berühmte Amelia Belford zu erhaschen, die fortgelaufene amerikanische Erbin. Zwar hatte ihre Mutter die Presse durch großzügige Bestechungsgelder dazu gebracht, Amelias Verschwinden als Entführung darzustellen, doch in der Öffentlichkeit herrschte allgemeine Übereinstimmung darüber, dass Amelia ausgerissen war.
Es kursierten die wildesten Gerüchte darüber, was sie während ihrer Abwesenheit erlebt hatte. Einige behaupteten, sie hätte sich unsterblich in einen arabischen Prinzen verliebt, der sie zur Favoritin seines Harems gemacht hatte, während andere versicherten, sie hätte eines Nachts all ihren Schmuck an die Armen auf den Londoner Docks verteilt und sich dann in ein italienisches Kloster zurückgezogen, um ihr Leben fortan in Armut und Abgeschiedenheit zu verbringen. Welche Abenteuer sie auch immer erlebt haben mochte, ganz London war entzückt, dass sie zu ihrer Familie und in die offenen Arme ihres Verlobten zurückgekehrt war. Als Amelias Vater die Zeitungen davon unterrichtet hatte, dass ihre ungeduldig erwartete Hochzeit mit dem Duke of Whitcliffe doch noch stattfinden würde, wuchs die Zahl der Schaulus-tigen in die Tausende. Ein Heer von Polizisten musste für ihren Hochzeitstag angeheuert werden, um den johlenden, drängelnden Pöbel wenigstens so weit im Zaum zu halten, dass Amelias Brautkutsche den kurzen Weg zur Kirche und wieder nach Hause zurücklegen konnte, wo ein hastig ausgerichteter Empfang für die etwa hundertfünfzig geladenen Gäste stattfinden würde.
Amelia zog den Vorhang zu und ging langsam zurück zu ihrem Bett. Sie legte sich auf die aufwendig bestickte seidene Tagesdecke und drückte die Handballen auf ihre schmerzenden Augen. Ich werde nicht mehr weinen, sagte sie sich mit finsterer Entschlossenheit. Keine einzige Träne! Sie schloss die Augen, holte tief Luft und versuchte, gegen die Woge der Verzweiflung anzukämpfen, die sie zu überfluten drohte.
Zunächst hatte sie ihre Tränen zurückhalten können, sogar dann, als ihre Mutter geschäftig umhergeflitzt war, um sich um jedes Detail der hastig arrangierten Trauungsfeier zu kümmern. Eine scheinbar endlose Parade von fremden Dienstmädchen, Näherinnen, Floristinnen, Köchen, Lakaien und Auslieferungsboten hatte das Haus in Beschlag genommen und jedes Zimmer in einen Hort fieberhafter Aktivität verwandelt, um den prunkvollen Empfang vorzubereiten, der im Anschluss an die Trauung stattfinden sollte. Dennoch war es Amelia irgendwie gelungen, so zu tun, als sei alles in Ordnung, schließlich hatte man ihr neunzehn Jahre lang beigebracht, sich widerspruchslos zu fügen.
Ihre Mutter war äußerst erfolgreich darin gewesen, jeden Fluchtversuch, den Amelia hätte unternehmen können, bereits im Keim zu ersticken. Abschreckender als die sie bewachenden Dienstboten und die Menschenmenge vor dem Haus war die ernst zu nehmende Behauptung, sie und Freddy würden enterbt werden, falls sie irgendetwas unternähme, um ihrer Trauung mit Whitcliffe zu entgehen. Amelia wusste, dass sie ohne die Unterstützung ihrer Eltern überleben konnte, sie wusste jedoch auch, dass Freddy dazu nicht in der
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