Ophran 3 Die entflohene Braut
ausgegangen, dass Amelias ganze Familie sich mit Annabelle und Grace unten in der Küche aufhalten würde. Offenbar hatte William doch noch einen Weg gefunden, sich der Plackerei am Herd zu entziehen.
„Sie haben da einen bemerkenswerten Mantel an“, sagte er. „Die meisten Leute würden an einem so heißen Tag kein derart schweres Kleidungsstück tragen, und schon gar keine Kapuze. “
„Der Mantel ist Teil meiner Berufskleidung, wenn ich außerhalb des Hospitals arbeite. Die Kapuze trage ich, um mein Gesicht vor der Sonne und dem vielen Staub zu schützen. “ „Schwester Cuthbert, wo zum Teufel bleiben Sie? “ brüllte Dr. Chadwick aus dem oberen Stockwerk. „Wir haben nicht so viel Zeit, als dass Sie den ganzen Tag herumstehen und über Mode plaudern könnten! “
„Ich bin gleich da“, entgegnete Charlotte.
„Sputen Sie sich! Und bitten Sie diese Zofen, etwas Tee aufzubrühen. Ich will, dass Miss Belford etwas trinkt, bevor ich gehe. “
„Wären Sie so freundlich, in die Küche hinunterzugehen und Miss MacGinty zu bitten, ein Kännchen Tee zu kochen? “ flötete Charlotte in zuckersüßem Ton. „Dann könnte ich die Dinge aus der Kutsche holen, die ich brauche, und sie auf dem kürzesten Weg hinauf zu Dr. Chadwick bringen. “
Es würde sich für einen Gentleman nicht ziemen, ihr diese Bitte abzuschlagen, doch William hatte gehofft, sich dem Untergeschoss fern halten zu können, damit seine Mutter ihn nicht wieder zum Küchendienst heranziehen konnte. „Nun gut. “ Er stellte sein Glas auf einen der gemieteten Tische, die von den flüchtenden Lakaien zurückgelassen worden waren, und ging gemächlichen Schrittes die Treppe hinab.
„Dr. Chadwick wünscht, dass Sie meiner Schwester einen Tee zubereiten“, verkündete er Annabelle.
„Siehst du nicht, dass Mademoiselle Colbert beschäftigt ist, William? “ Rosalind stand mit glühenden Wangen am Herd und stocherte missmutig in einem Topf mit zerkochten Kartoffeln herum. Das Küchenpersonal war Hals über Kopf geflohen und hatte ein so heilloses Durcheinander hinterlassen, dass Rosalind kaum wusste, wo sie anfangen sollte. „Du wirst doch gewiss in der Lage sein, Wasser aufzusetzen und den Tee selbst zu kochen, oder? “
„Das will ich miterleben“, feixte Freddy, der ungeschickt an einem riesigen Rosinenkuchen herumsäbelte, während Grace die ungleichmäßigen Stücke auf einem Tablett arrangierte.
„Non, es geht schneller, wenn isch es mache. “ Annabelle wandte sich von der Pfanne mit den rosa Rindermedaillons ab, die sie gerade briet. „Monsieur Belford, vielleischt könnten Sie sisch solange um dieses Fleisch ’ier kümmern. Sobald es anfängt, braun. zu werden, wenden Sie es vorsischtig, doch ohne ’ineinzusteschen. “ Sie drückte ihm eine lange Gabel in die Hand, wischte sich die Finger mit einem Küchentuch ab und verschwand in der Vorratskammer, um die Teedose zu suchen, die Simon und Jamie am Vormittag mit einer Mischung aus Zucker und Kalisalpeter gefüllt hatten.
„Eins ist sicher: Hunger werden wir keinen leiden! “ Amelias Vater bemerkte überrascht, dass es ihm unerwartetes Vergnügen bereitete, mit abgelegtem Jackett und aufgekrempelten Hemdsärmeln eine riesige Lammkeule zu tranchieren. „Als ich ein Junge war, hat uns ein solcher Braten eine ganze Woche ernährt. “
„Wirklich, John, du übertreibst! “ schalt Rosalind, die noch immer in ihren breiigen Kartoffeln herumstocherte. „Wie um alles in der Welt sollte ein einziger Braten eine elfköpfige Familie eine Woche lang ernähren können? “
„Wir haben ihn nie in Scheiben serviert“, erklärte John und schnitt fachmännisch ein weiteres Stück ab. „Wir haben Ragout daraus zubereitet, ihn in kleinen Stücken zu Kartoffeln gereicht oder als Suppeneinlage gekocht... “
„Feuer! “ schrie Annabelle plötzlich und stürzte, in eine Wolke aus dichtem grauen Rauch gehüllt, aus der Speisekammer.
„Löscht es mit Wasser! “ kreischte Grace.
Freddy griff hilfsbereit nach Rosalinds Kartoffeltopf, rannte zur Speisekammer und schüttete den Topfinhalt schwungvoll ins Innere. Noch immer quoll dichter Rauch aus der kleinen Kammer.
„Wir müssen das Feuer ersticken! “ John griff nach einer riesigen Mehlschüssel und stürzte sich in den grauen Qualm.
„John! “ schrie Rosalind. „Komm sofort da heraus, hast du gehört? “
Ein heftiger Hustenanfall war die Antwort.
„William, hol deinen Vater da raus, bevor er einen Herzinfarkt bekommt!
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