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Ophran 3 Die entflohene Braut

Titel: Ophran 3 Die entflohene Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karyn Monk
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dunklen Fluten der Themse, während beinahe ganz London schlief. Amelia suchte sich einen Platz an Deck, wo sie niemandem im Weg stand, und beobachtete Jack schweigend aus dem Schatten heraus.
    Das Steuerrad fest in den Händen, stand Jack breitbeinig da und trotzte dem frischen Wind, der seine nassen Kleider blähte. Ein dünnes weißes Hemd und ein Paar dunkler Hosen waren alles, was noch von der schlecht sitzenden Dienerlivree übrig war, die er getragen hatte, um sich Zugang zum Ball der Wilkinsons zu verschaffen. Er hatte die Ärmel aufgekrempelt, und sein geöffnetes Hemd gab den Blick auf seine breite, sonnengebräunte Brust frei. Sein feuchtes dunkles Haar lockte sich im Nacken, während das Brusthaar in einem schmalen Streifen über seinen flachen Bauch lief, um dann unter dem engen Bund seiner Hose zu verschwinden. Eine Aura urwüchsiger Kraft umgab ihn, als er seinen stolzen Segler durch die mondbeschienenen schwarzen Fluten steuerte und das Ruder dabei mit fester, ruhiger Hand führte.
    Jack war ein Mann, der in die Rolle eines einfachen Arbeiters oder eines alten Dienstboten schlüpfen und deren Gesten und Sprechweise scheinbar mühelos nachahmen konnte. Als Sohn des Marquess of Redmond hatte er ein privilegiertes Leben geführt, dennoch legte er dem Adel gegenüber eine seltsame Verachtung an den Tag, ein Widerspruch, auf den Amelia sich keinen Reim zu machen wusste. Er besaß eine Schiffsflotte, was in Amelias Augen bedeutete, dass er sich um die geschäftlichen Dinge kümmerte, die mit der Leitung einer Reederei einhergingen. Doch es war offensichtlich, dass er seine Schiffe bisweilen auch selbst segelte, und die Ach-tung, die er bei seiner Mannschaft genoss, zeigte, dass er dies mit Geschick und Selbstbewusstsein tat. Mehr noch, er war ein Mann, dem trotz seiner bisweilen schroffen Art sehr am Wohlergehen anderer Menschen gelegen war, selbst wenn er sie kaum kannte. Dessen war Amelia sich bewusst, seit er ihr bei der Flucht geholfen hatte.
    Wie tief sein Mitgefühl jedoch wurzelte, hatte sie erst in dieser Nacht erkannt, als er durch die Flammen gelaufen war, um einen Jungen bei der Hand zu nehmen und mit ihm von Bord eines explodierenden Schiffes zu springen.
    „Haben Sie heute Abend schon etwas gegessen? “ fragte Jack, der sich plötzlich ihrer Gegenwart erinnerte.
    „Ich bin nicht hungrig. “
    Er runzelte die Stirn. „Haben Sie heute überhaupt irgendetwas gegessen? “
    „Ich hatte Tee und Toast zum Frühstück. “
    „Ist das alles? “
    „Das ist genug“, versicherte sie.
    „Haben Sie etwas, das Sie unserem Gast anbieten könnten, Henry? “ erkundigte sich Jack an den kleinen Mann gewandt.
    „Es gibt gekochte Schweinsfüße mit Kohl und Klößen. Finlay und Drummond meinten, es seien die besten, die sie je gegessen hätten“, prahlte er.
    Amelia drehte sich fast der Magen um. „Sie sind gewiss ganz köstlich“, brachte sie höflich hervor, „doch ich bin wirklich nicht hungrig. “
    „Bringen Sie der Dame eine Portion, sobald sie sich in meiner Kajüte eingerichtet hat“, befahl Jack, ohne auf Amelias Widerspruch zu achten. „Sie werden dort eine Truhe mit einigen Kleidungsstücken finden“, sagte er zu ihr. „Es sind keine Frauenkleider, doch Sie können sich nehmen, was Ihnen beliebt. “
    „Vielen Dank. “
    „Hier entlang, Eure Ladyschaft. “ Henry verbeugte sich und wies mit seinem Gewehr in Richtung der Kajüten.
    Amelia warf einen letzten Blick auf Jack, der hoch aufgerichtet an Deck seines Schiffes stand und gelöster und zufriedener wirkte als während der ganzen Zeit, die sie einander kannten.
    Dann wandte sie sich ab und folgte Henry erschöpft unter Deck.
    Streifen pfirsichfarbenen Lichts durchzogen den bleigrauen Himmel und kündigten das Nahen der Morgendämmerung an. Jack streckte die Arme aus, neigte den Kopf von einer Seite zur anderen und versuchte stöhnend, seine schmerzenden Muskeln zu lockern. Er hatte die ganze Nacht am Ruderrad der „Charlotte“ verbracht und sie durch die tintenschwarzen Fluten der Themse in Richtung Nordsee gesteuert. Es war viel zu lange her, dass er das Vergnügen genossen hatte, die „Charlotte“ zu segeln, denn seine Geschäfte erforderten, dass er auf seinen schnelleren Dampfschiffen reiste. Zwar hätte er Henry längst das Ruder übergeben können, doch er war geblieben, wo er war, hatte die Wärme des glatten Holzes unter seinen schwieligen Handflächen gespürt und das sanfte Schaukeln des Decks unter seinen

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